11.05.2006, 13:43 Uhr

«Der CIO muss näher zum CEO rücken»

Die IT soll die Produktivität des ganzen Unternehmens verbessern. Aber lässt sich diese Steigerung messen? Ja, sagt MIT-Professor Erik Brynjolfsson.
Computerworld:Warum ist die Frage nach der Produktivität durch die IT unverändert wichtig?
Erik Brynjolfsson:In den letzten Jahren wurde immer wieder hinterfragt, welchen Beitrag die IT zum Unternehmenserfolg leistet. Nick Carr und andere Autoren haben diesbezüglich einige heikle Fragen gestellt. Ich selbst habe im Detail untersucht, wie sich die IT auf die Produktivität und Organisation auswirkt, in welchen Punkten sich erfolgreiche von erfolglosen Unternehmen unterscheiden. Dabei haben wir erkannt, dass die IT einen entscheidenden Beitrag leistet. In den 1970-er Jahren bis in die 1990-er Jahre hinein serbelte diese Produktivitätsrate um 1 oder höchstens 1,5 Prozent, und die meisten Wirtschaftswissenschaftler glaubten, dass es dabei bleiben würde. Aber in jüngster Zeit ist die Rate markant gestiegen. Im letzten Quartal 2005 zum Beispiel stieg sie in den USA auf 4,7 Prozent an, und das ist keine Ausnahmeerscheinung. Das Wachstum pro Jahr lag seit 2000 konstant um die 4 Prozent. Alle Unternehmen arbeiten heute produktiver als früher, andererseits gehen die, die das nicht tun, bankrott. Diese beiden Fakten zusammen führen geradezu zu einer Renaissance der Produktivität.
Computerworld: Also herrscht jetzt Einigkeit: Die IT steigert die Produktivität?
Erik Brynjolfsson: Die Diskussion hat sich verlagert. Man fragt nicht mehr, ob die IT die Produktivität steigern hilft. Sondern, worin sich erfolgreiche von erfolglosen Firmen unterscheiden. Diese Frage wird nicht so bald zu beantworten sein, denn die Erfolg versprechenden Faktoren verändern sich im Lauf der Zeit.
Computerworld: Wo liegen Ihrer Ansicht nach die Unterschiede, wenn Sie die IT betrachten?
Erik Brynjolfsson: Wir haben die Organisationsformen der erfolgreichen Unternehmen analysiert. Dabei hat sich eine Reihe von Methoden und Verfahren herauskristallisiert, die alle praktizieren. Wir nennen diese die sieben Merkmale des «digitalen Unternehmens». Ganz generell setzt das einen Umstieg von analogen auf digitale Geschäftsmethoden voraus, indem etwa Papier durch Onlinesysteme und Intranet abgelöst wird. Das ist nun keine wirkliche Überraschung, doch die übrigen sechs Merkmale sind insofern erstaunlich, weil sie sich dem direkten Einfluss der IT-Manager entziehen. Nummer zwei ist eine veränderte Entscheidungsfindung: Die Verantwortung rückt in tiefere Hierarchie-Ebenen. Nummer drei ist die Forderung, Informationen viel transparenter zu machen, den Zugang zu Informationsflüssen zu vereinfachen - sowohl horizontal als auch vertikal. Der vierte wichtige Aspekt ist das Salärsystem: Immer öfter enthalten die Löhne leistungsbezogene Komponenten sowie Incentives. Erfolgreiche Firmen, so unsere Beobachtung, bezahlen öfter Bonusse und setzen gleichzeitig weniger auf automatische Lohnsteigerungen abhängig von der langjährigen Firmenzugehörigkeit.Der fünfte Unterschied liegt in der Palette der Produktfamilien respektive Dienstleistungen: Je konzentrierter und überschaubarer sie ist, desto erfolgreicher das Unternehmen. Denn dann konzentriert man sich darauf, was man am besten kann, anstatt seine Energien zu verzetteln.Die sechste wesentliche Voraussetzung für den Erfolg liegt in der Verantwortung der Human Ressources. Je mehr Zeit investiert wird, um Stellenbewerber vor der Einstellung zu interviewen und zu selektieren, und je mehr Manager auch aus oberen Hierarchiestufen in diesen Prozess einbezogen werden, desto besser für das gesamte Unternehmen. Der siebte Punkt schliesslich betrifft die Bereitschaft, in die Aus- und Weiterbildung der eigenen Mitarbeiter zu investieren - direkt nach einer Neueinstellung, aber auch allgemein. Dabei denke ich an interne Schulung, aber auch ausserhalb sowie die Weiterbildung für Führungsleute. Daraus ergibt sich eine Sammlung so genannter Best Practices, die eindeutig mit höherer Produktivität und grösserem Marktwert Hand in Hand gehen.
Computerworld:Haben die erfolgsverwöhnten Firmen lediglich diese sieben Punkte befolgt, oder haben Sie zudem charakteristische Unterschiede in ihren IT-Landschaften beobachtet?
Erik Brynjolfsson: Beides gilt es zu kombinieren. Das eine allein ohne das andere ist nicht annähernd so effizient wie die Kombination daraus.
Computerworld: Wie kann ein Unternehmen die Produktivität seiner IT konkret messen?
Erik Brynjolfsson: Die Netzwerkerin Cisco zum Beispiel hat ein neues, verbessertes Mitarbeiterverzeichnis erstellt, in dem ein Mitarbeiter Kollegen mit ähnlichen Aufgabenbereichen und Kenntnissen leichter auffinden kann. Cisco berechnete, wie viel Zeit die Mitarbeiter früher täglich investierten, um wichtige Kontaktpersonen aufzuspüren, und wie schnell das heute geht. Daraus haben sie ein einfaches Messsystem zur Berechnung der ersparten Kosten abgeleitet. Und die übersteigen die Investitionskosten für das neue Verzeichnissystem bei weitem.Darüber hinaus versucht Cisco auch, die immateriellen Vorteile des Systems zu bewerten. Etwa, weil die Mitarbeiter nun ihr Know-how öfter austauschen als früher, weil sie vermehrt zusammenarbeiten und somit schlussendlich die Probleme der Kunden schneller gelöst werden können. Ciscos CEO John Chambers hat seiner Firma das Ziel vorgegeben, pro Mitabeiter einen Umsatz von einer Million Dollar zu erreichen. Seither arbeiten alle hart an der Frage, wie sie mit Unterstützung der Technik dieses Ziel erreichen können. Das Beispiel macht klar, dass für jedes Projekt ein individuelles Masssystem zur Bewertung gefunden werden muss. Solche Systeme lassen sich kombinieren und daraus die Performance-Verbesserung für das gesamte Unternehmen ableiten. Desweiteren kann ich Ihnen das Beispiel des Mischkonzerns GE nennen. Mich hat überrascht, wie genau GEs interne Richtlinien und Regeln mit den von uns definierten, vorher genannten Regeln eines digitalen Unternehmens übereinstimmen. GE setzt sehr rigide durch, dass nach Abänderungen von Business-Prozessen Werte gemessen und daraus auf Leistungsänderungen geschlossen wird.
Computerworld: Warum gelingt es manchen Unternehmen nicht, ihre IT-Produktivität zu messen? Haben sie die sieben Regeln angewendet und sind trotzdem gescheitert?
Erik Brynjolfsson: Die Firmen, die in unseren Untersuchungen die schlechtesten Leistungen zeigten, waren immer diejenigen, die alles nur halbherzig durchgeführt beziehungsweise auf halbem Weg stecken geblieben waren. Dies, weil sie die neuen und alte Practices gemischt hatten. Damit haben sie sich sozusagen zwischen zwei Stühle gesetzt. Wenn Sie zum Beispiel den Mitarbeitern mehr Entscheidungsverantwortung zugestehen, aber ihnen die dazu nötigen Informationen, lohnmässigen Anreize oder IT-Infrastruktur vorenthalten, erzielen Sie am Ende schlechtere Ergebnisse, als wenn sie alles beim Alten - sprich, der alten Führungs- und Kontrollstruktur - belassen hätten. Ähnliches gilt für die anderen Punkte. Nur einen oder zwei allein zu ändern, ohne einen in sich schlüssigen Gesamtplan zu haben, ist fast immer kontraproduktiv.
Computerworld: CIO, Wirtschaftswissenschaftler und die Medien sprechen oft von «immateriellen Werten» im Zusammenhang mit Produktivitätszuwachs durch die IT. Sind sie tatsächlich immateriell? Gibt es sie überhaupt wirklich?
Erik Brynjolfsson: Immaterielle Werte sind sogar ein wichtiger Bestandteil der Produktivität. Allerdings vertrete ich die Ansicht, dass sie keineswegs irgendwelche vage, nicht messbare Komponenten sind. Im Gegenteil wollen wir durch unsere Forschungen gerade sie genauso objektiv fass- und messbar machen wie Sachwert oder materielle Anlagen. Ich halte das für ein Schlüsselthema des 21. Jahrhunderts und ein Kernziel der Führungsverantwortung.
Computerworld: Hat die Konzentration aufs Kostensparen die CIO von diesen kritischen immateriellen Werten abgelenkt?
Erik Brynjolfsson: Natürlich ist es besser, kostenbewusst und preisgünstiger zu arbeiten als verschwenderisch. Speziell in den spätern 1990er Jahren wurde bei Investitionen viel Geld zum Fenster hinausgeworfen. Aber in jüngster Zeit hat das Pendel tatsächlich zu sehr in die andere Richtung ausgeschlagen. Die Führungsetagen waren vom Sparen geradezu besessen, das Bemühen um echte wertschaffende Arbeit ging darüber verloren. In dem Mass, in dem die IT vom reinen Sparkurs abrückt und sich auf ihre Funktion konzentriert, das Unternehmen zu unterstützen, sind diese Schritte zunehmend komplizierter mit Zahlen zu belegen und auch zu rechtfertigen. Deshalb machen sich manche IT-Manager das Leben leicht und beschränken sich auf einfach zu quantifizierende Zahlen - etwa die Anschaffungs- und Betriebskosten für den Server xy. Doch wenn sich ein CIO nur auf solch einfach Messbares beschränkt, ist er fast schon als destruktiv zu bezeichnen. Denn alle kreativen, mutigen Ideen, wie die IT das Gesamtunternehmen voranbringen könnte, gehen darüber verloren.
Computerworld: Muss der CIO mehr in betriebswirtschaftliche Fragen involviert werden, damit er den Wert der IT belegen kann? Muss er näher zum CEO und CFO rücken?
Erik Brynjolfsson: Richtig, denn kein IT-Projekt zahlt sich isoliert aus, sondern nur im Verbund mit dem Gesamtunternehmen. Also müssen die betriebswirtschaftlichen und die funktionalen Verantwortlichen kooperieren. Oft bewährt es sich, wenn Abteilungsleiter eine neue Initiative anführen und dabei von der IT wie von einem Coach unterstützt werden - also jemand, der hilft, die Chancen auszuloten, aber nicht selbst das letzte Wort hat. Dazu braucht es sowohl betriebswirtschaftliches Know-how als auch technisches Fachwissen, und das ist für viele CIO neu. Meine Gespräche der letzten ein, zwei Jahre mit Leitern von Geschäftseinheiten und CFO scheinen mir darauf hinzuweisen, dass sie diejenigen sind, die die Chancen, die sich für ihre Bereiche eröffnen, besser einschätzen können. Viele CIO dagegen scheinen wie schockiert von der Rezession der jüngsten Vergangenheit und kapseln sich fast neurotisch ab: Sie denken immer noch nur ans Sparen und nicht daran, wie sie den Umsatz des Gesamtunternehmens steigern helfen können.
Catharina Bujnoch



Das könnte Sie auch interessieren