Dream Machine 07.12.2018, 09:38 Uhr

Entspannen in der virtuellen Realität

Die Entwickler und Wissenschaftler des Schweizer Start-ups NeuroPro verknüpfen Gehirnmessungen mit Computertechnologie. Ihre Dream Machine soll beim Entspannen helfen.
Die Dream Machine bietet Nutzern traumhafte Szenarien an
(Quelle: NeuroPro)
Während alle Welt über die künstliche Intelligenz redet, rätseln Wissenschaftler weiterhin, wie das menschliche Gehirn funktioniert. Die Hirnforschung hat in den vergangenen 30 Jahren wenig bedeutende Fortschritte gemacht. Viele Forschungsresultate stehen isoliert neben anderen – was zu einem Dilemma in den Neurowissenschaften führt: Die Allgemeinheit glaubt, die Funktion des Gehirns ist längst bekannt. «Es ist allerdings keineswegs erforscht, wie das Gehirn tatsächlich arbeitet», sagt Jamil El-Imad, Gründer des Start-ups NeuroPro.

Rätsel der menschlichen Intelligenz

Die Funktion des Gehirns respektive die menschliche Intelligenz werden im Rahmen von zwei Schweizer Grossprojekten erforscht: am Brain Mind Institute (BMI) an der EPF Lausanne und bei der Stiftung Mindfire. Bei beiden Vor­haben handelt es sich um Bottom-up-Projekte, in denen zuerst die Funktionsweise aller Nervenzellen und ihr Zusammenspiel erforscht werden soll. Diese Grundlagen­forschung benötigt viel Zeit.
Für die Therapie von Erkrankungen wie Alzheimer oder Phobien sind kurzfristige Lösungen gefragt. Für ein spezifisches Symptom oder Störungsbild sollte es eine spezifische Behandlungsmöglichkeit geben – quasi Top-down. Hier kann die Technologie eine Hilfe sein, sagt El-Imad. Wenn die Wirkmechanismen der heute etablierten Therapieverfahren mit Analytik auf den Prüfstand gestellt werden, können Computeralgorithmen die Therapie womöglich verbessern – und so das Leiden der Patienten lindern.
Die Wissenschaft behilft sich bei der Erforschung der Hirn­aktivität mit neurologischen Messwerten der Computer­tomografie (CT), der Elektroenzephalografie (EEG) und der Ma­gnetresonanztomografie (MRT). Die Daten werden zum Teil mit Verhaltensdaten kombiniert, z. B. EEG-Wellen mit Mausbewegungen beim Navigieren auf einer Webseite. Findet sich ein Zusammenhang zwischen der Hirn­aktivität und dem Verhalten, können zumindest vage Aussagen über die Funktionsweise des Gehirns gemacht werden.

Die Dream Machine

So sieht die Dream Machine von NeuroPro aus
Quelle: NeuroPro
El-Imad und seine Kollegen haben ein Training der Konzentrationsfähigkeit entwickelt. Die «Dream Machine» kombiniert das EEG mit einer VR-Brille. Hinzu kommt eine Software, welche die Hirnaktivität analysiert und dem Benutzer ein passendes Video anzeigt. Die Entwickler betonen, dass die Dream Machine aktuell noch ein Forschungsprojekt sei. Sie berufen sich auf Studien aus der Medizin und der Psychologie. Diese hätten erwiesen, dass Neuro-Feedback ein wirksames Mittel für die Behandlung psychischer Probleme sei. Indem die Dream Machine die Hirnaktivität messe und unmittelbar Rückmeldung gebe, könne Menschen in anspruchsvollen Jobs oder bei Defiziten geholfen werden, sich auf den aktuellen Moment zu konzentrieren.
Visuell umgesetzt ist das «Traum»-Training in der vir­tuellen Welt: Ein Szenario wäre eine Computergrafik mit Blasen, in denen attraktive Erholungsorte zu sehen sind. Konzentriert sich der Benutzer auf eine der Blasen, platzt sie und «vernebelt» den virtuellen Raum. Je mehr sich der User nun konzentriert, desto mehr lichtet sich der Nebel. Die Konzentration wird durch bestimmte EEG-Wellen er­mittelt und das Videobild in der VR-Brille entsprechend an­gepasst. Am Ende einer Sitzung erhält der User einen Score, den er beim nächsten Mal übertreffen soll.

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Die Entwickler und Wissenschaftler des Schweizer Start-ups NeuroPro verknüpfen Gehirnmessungen mit Computertechnologie. Ihre Dream Machine soll beim Entspannen helfen.

Manager, Patienten, Kinder

Laut den Entwicklern ist der Einsatz der Dream Machine denkbar in drei Bereichen: einer Einrichtung wie einem «mentalen Fitnesscenter» sowohl für Angestellte als auch für Kinder. Sie setzen sich in eine Kapsel, die sich beispielsweise in Büros oder auch in Schulen installieren liesse. Darin montierten die Benutzer die Dream Machine und trainierten. Für El-Imad ist der Grundgedanke hier: Der Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz ist heute noch hauptsächlich für körperliche Tätigkeiten ausgelegt. Denn im vergangenen Jahrhundert haben 95 Prozent der Werktätigen körperlich gearbeitet. Heute beträgt der Anteil in der westlichen Welt noch rund 60 Prozent. Für die 40 Prozent Wissens­arbeiter gibt es nach den Worten des Experten lediglich einige zusätzliche Vorschriften zum Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz. Hier wolle NeuroPro helfen.
“Mentales Belastbarkeitstraining ist der Schlüssel zur Gesundheitsprävention„
Jamil El-Imad, NeuroPro
Ein zweiter Anwendungsbereich sei die medizinische Behandlung: Physiotherapeuten könnten Patienten Übungen mit der Dream Machine verschreiben. Dann liesse sich der Therapieverlauf anhand der Scores nachverfolgen. Drittens wäre es denkbar, dass Schüler mit Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) Übungen mit der Dream Machine absolvieren. Durch die Kombination mit dem Gamification-Element (persönlicher Score), könnte es zu einem Wettbewerb mit Klassenkameraden kommen, was eine zusätzliche Motivation bedeutet.

Glückliche Schweizer

Obwohl El-Imad selbst die Einsatzszenarien der Dream Machine benennt, dämpft er im gleichen Atemzug die Euphorie: Stand heute sei es lediglich eine von vielen «Optionen», über den kommerziellen Vertrieb der Technologie nach­zudenken. Letztendlich ist die Dream Machine so etwas wie ein Videospiel – mit einem soliden wissenschaftlichen Hintergrund. Unter der Leitung des neuen Eigentümers von NeuroPro, der Lausanner Firma MindMaze, soll die Technologie nun noch weiterentwickelt werden.
Unterdessen sieht El-Imad insbesondere für die Manager in der Schweiz allerdings auch genügend Alternativen zum Training mit der Dream Machine: «Wenn ich die Wahl hätte zwischen einem Abend am Ufer des Zürichsees und einem Besuch im mentalen Fitnesscenter, in dem ich stundenlang eine VR-Brille tragen muss, würde ich immer das Seeufer wählen», sagt er. Hingegen könnten Manager in Peking, die Dutzende Stunden in einem Wolkenkratzer arbeiten, eher die Dream Machine aufsetzen, als einen halben Tag zum Ufer des Gelben Meeres zu reisen.

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