Quantenrechner: Geschwindigkeits-Wunder mit offener Zukunft

Kritik von IBM

Tatsächlich bezweifeln drei Forscher von IBM im Blog-Beitrag «On Quantum Supremacy“ die Behauptung der Google-Forscher, eine Quantenüberlegenheit erreicht zu haben. Sie argumentieren, dass eine ideale Simulation der gleichen Aufgabe auf einem klassischen System in 2,5 Tagen erfolgen könne und nicht mehrere Tausend Jahre dauere – und das in grösserer Genauigkeit. Das ist bislang nur eine Behauptung, einen Beweis bleiben die IBM-Forscher noch schuldig.
Ingolf Wittmann von IBM sagt dazu: «Die Begriffe ‹Vorherrschaft› oder ‹Überlegenheit› im Kontext von Quantencomputern werden von fast allen missverstanden und sind irreführend. Quantencomputer werden vermutlich nie klassischen Computern im Allgemeinen überlegen sein, sondern gemeinsam mit ihnen arbeiten, da jeder seine eigenen Stärken hat.»
Komplizierte Technik: So sieht ein Teil des Quantencomputers IBM Q aus
Quelle: IBM
Auch bei IBM arbeite ein 53-Qubit-Rechner in einem Forschungszentrum, so Wittmann. Für ihn zeigt das, dass die Forschung auf dem Gebiet der Quantenrechner sehr schnell voranschreitet und damit mehr und mehr Unternehmen oder akademische Institutionen von den künftigen Vorteilen der Technologie profitieren werden.
Laut Wittmann liegt die Aufgabe darin, wirklich programmierbare Quantencomputer-Systeme aufzubauen, die eine breite Palette von Quantenalgorithmen und -programmen reproduzierbar und zuverlässig durchführen können und sich ausserhalb von Forschungslaboren betreiben lassen. «Das ist der einzige Weg, um praktische Lösungen mit Hilfe von Quantencomputern zu realisieren. Nur dann kommen wir dahin, dass wir aus der Kombination Quantenrechner plus klassische Systeme echte Vorteile oder eine Überlegenheit gegenüber ausschliesslich klassisch konzeptionierten Rechnern erzielen», erklärt Wittmann.

Vielfältige Einsatzgebiete

Quantencomputer werden dank ihrer extremen Rechengeschwindigkeit überall dort zum Einsatz kommen, wo daten- und rechenintensive Aufgaben warten, etwa in der Medizin, der Materialforschung oder bei logistischen Planungen im Handel. Die Marktforscher von IDC sehen drei Gruppen von Einsatzszenarien: erstens Künstliche Intelligenz mit dem Trainieren von Modellen und Mustererkennung etwa für Use Cases wie Fraud Detection, zweitens Modellierung und Simulation von unterschiedlichen Szenarien wie Kryptografie, Materialforschung oder in der Quantenchemie und drittens für Optimierungsaufgaben.
IDC betreibt laut Matthias Zacher, Senior Consulting Manager bei dem Marktforschungsunternehmen, umfangreiches Research zum Thema Quanten-Computing, um zu sehen, ob es einen Markt gibt beziehungsweise wie er sich entwickelt. «Aktuell ist der Markt mit Herstellern wie IBM, Amazon, Microsoft, Google, D-Wave, Rigetti oder Atos relativ klein. Wir befinden uns noch in einer frühen Phase mit überwiegend Laborstudien. Bis 2027 rechnen wir mit einem Volumen von etwa zehn Milliarden Dollar. Das künftige Geschäftsmodell dürfte vor allem im Bereich Quanten-Computing als Managed Service liegen.»
“Aktuell ist der Markt für Quantencomputing relativ klein. Wir befinden uns noch in einer frühen Phase mit Laborstudien„
Matthias Zacher, Senior Consulting Manager bei IDC

Viele Herausforderungen

Doch bis Forscher und Firmen einen fehlertoleranten Quantencomputer entwickelt haben, werden noch viele Jahre ins Land ziehen. Denn dafür müssen sie einige Herausforderungen meistern. Ein grosses Problem ist die Skalierbarkeit. Wirklich nützliche Berechnungen sind erst möglich, wenn die Quantenchips ein weitaus grösseres Volumen als die 53 Qubits des Google-Computers umfassen – und zwar in ausreichend guter Qualität und mit aktiver Fehlerkorrektur. Quantencomputer sind nämlich von ihrer Natur her sehr fehleranfällig, da Qubits nicht nur eine 0 oder 1, sondern beliebige Zustände annehmen können, auch unerwünschte Mischzustände. Es geht darum, das Signal vom Rauschen zu unterscheiden. Das heisst: Ein Quantencomputer kann nicht im Alleinbetrieb arbeiten, sondern benötigt eine Fehlerkorrektur. Dafür sorgen spezielle Algorithmen, die auch Rechnungen mit nicht 100 Prozent zuverlässigen Qubits ermöglichen.
Für Frank Wilhelm-Mauch sind auch neue Materialien für Qubits notwendig, um die Fehlerrate auf 0,01 Prozent zu senken. «Quantencomputer mit Supraleitern sind empfindlich. Sie benötigen extrem tiefe Temperatur in der Nähe des absoluten Nullpunkts von minus 273,15 Grad, das muss beim Ansteuern der Qubits berücksichtigt werden. Wenn man wirklich grosse Computer bauen will, wird es notwendig, Kältemaschinen in isolierten Behältern mit flüssigem Helium miteinander zu verbinden. Andere Ansätze mit Ionen-Qubits benötigen ein Hochvakuum.»

Experten gesucht

Um die Grundlagenforschung an der Technologie selbst und die Hardware zu verbessern, sind natürlich kompetente Experten gefragt, auch für die Entwicklung von Anwendungen für Quantencomputer. Hier ist es nicht so einfach möglich, von Java oder Python auf das Thema Quantencomputer umzusatteln. Um die Forschung und Entwicklung von Applikationen auf echten Quantensystemen zu ermöglichen, stellt beispielsweise IBM seine IBM-Q-Systeme in der Cloud für die Allgemeinheit zur Verfügung. IBM baut sein IBM Q Network als Ökosystem und Kooperation von Quantenexperten und Firmen auf und aus, um das Thema Quanten-Computing voranzutreiben.
Auch die Hochschulen sind nicht untätig. Seit dem Wintersemester beispielsweise bietet die deutsche Universität des Saarlandes den Studiengang «Quanten Engineering». Die Hochschule will Ingenieure ausbilden, die das Wissen um die Quanten mit technischem Know-how verbinden. In Saarbrücken sind zudem alle drei zentralen Gebiete der  Quantentechnologie-Forschung vertreten: Quantencomputer und -simulation, Quantenkryptografie und -kommunikation sowie Quantensensorik.



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