Tech-Trends im Data Center

Thomas Wellinger, Reichle & De-Massari: «Edge Data Center entlasten die Core-Netze, die Cloud und die Budgets»

Thomas Wellinger, Market Manager Data Center, R&M
Quelle: Reichle und De-Massari
Computerworld: Wie haben sich die Kundenanforderungen in den letzten Jahren verändert?
Thomas Wellinger, Market Manager Data Center, R&M: Mit der digitalen Transformation durchdringt die IT dank neuer Möglichkeiten immer weitere Bereiche der Wirtschaft. Augmented Reality für Games aber auch für industrielle Anwendungen etwa in der Bauwirtschaft erfordert schon heute hohe Bandbreiten, erzeugt grosse Datenmengen und benötigt kurze Reaktionszeiten. Noch drastischer zeigt sich dies in der Finanzwirtschaft, wo eine geringe Latenz über Gewinne entscheiden kann. Künftige Entwicklungen wie das Internet of Things, das autonome Fahren oder die Telemedizin schrauben ebenfalls an der Leistungsschraube. Hierfür benötigen Unternehmen neue Lösungsansätze im Cloud Computing. Wir werden deshalb einen Paradigmenwechsel erleben, der sich auch auf die technische Infrastruktur von Rechenzentren auswirken wird.
CW: Welche Infrastrukturtrends erwarten Sie?
Wellinger: Zentrale Mega-Data-Center in der Cloud sind kein Allheilmittel für die Bedürfnisse der digitalen Welt. Distanzen, Datenvolumen, Lastverteilung und Buffering, Übertragungskapazität und Übertragungskosten erfordern mehr und mehr dezentrale Lösungen. Ein grosser Trend ist daher das Edge Computing. Edge Data Center entlasten die Core-Netze, die Cloud und die Budgets. Die Zukunft beschert Providern und Nutzern noch dramatischere Gründe. Beispiel autonomes Autofahren: Es gelingt nur, wenn Massen von Informationen mit minimaler Latenz zwischen Fahrzeugen, Navigationssystemen, Mobilfunknetzen, Radar- und Überwachungssystemen, Ampeln und Verkehrsrechnern bewegt werden. Das erfordert neben 5G-Mobilfunk ein Glasfaser-Netzwerk entlang der Strasse. Alle 15 Kilometer müssten Mikrorechenzentren stehen. Sie müssten die Interaktion mit ultrakurzer Latenz gewährleisten und die wichtigsten Daten vor Ort verarbeiten. Der Datenaustausch über mehrere hundert Kilometer entfernte Cloud Data Center wäre mit den typischen 1 bis 2 Millisekunden Latenz zu lahm und zu riskant.
CW: Mit welchen Massnahmen und technischen Innovationen reagiert Ihr Unternehmen auf die veränderten Kundenanforderungen?
Wellinger: Etwa mit EdgeGo, einem schlüsselfertigen autonomen Edge Data Center im Container, was den Bau eines Serverraums spart. Das RZ sitzt in einem schallgedämmten Gehäuse (99 % IT Noise Reduction) auf der Standfläche eines Racks. Es enthält auf 42 Höheneinheiten neben Verkabelung und IT die Kühlung, Stromversorgung, Überwachungskamera und automatisches Infrastrukturmanagement für das Remote Monitoring. Mit R&M InteliPhy haben wir ein multifunktionales Automatisches Infrastruktur-Managementsystem entwickelt. Es hilft Netzwerkverantwortlichen, Infrastrukturen in jeder Grösse zentral, digital und in Echtzeit zu überwachen. Und schliesslich geht es auch um die manuelle Arbeit beim Rangieren. Installateure und Techniker sollten die Anlagen intuitiv bedienen können. Bei einer hochverdichteten Verkabelung fällt es schwer, die Stecker zu greifen. Push-Pull-Mechanik wie bei unserer Quick-Release-Steckerfamilie vereinfacht die Arbeit.
CW: Wie wird das Rechenzentrum der Zukunft aussehen?
Wellinger: Alles wird sich weiter verdichten und zu Hyperconnectivity sowie zu flacheren Hierarchien tendieren – innerhalb der Anlagen und geografisch. Beispiel Edge Data Center: Sie stehen innerhalb der Stadt oder Region, die sie bedienen. Je mehr Bedarf an Rechenleistung, desto dichter die Standorte. Edge-Cluster können Clouds bilden. Damit lassen sich Performance, Kapazität, Geo-Redundanz und Sicherheit regionaler Netze steigern. Insbesondere bieten sich Netzknotenpunkte wie Central Offices, Hubs, POPs, Kopfstationen oder Mobilfunk-Basisstationen an. Edge Data Center sollten zu Peering-/Exchange-Points werden, durch die der grösste Teil des regionalen Internet-Traffics läuft. Flache, dezentral ausgerichtete Hierarchien kommen ins Spiel. Edge Data Center brauchen redundante und synchrone fiberoptische Hyperconnectivity in jede Richtung: zur Cloud, zum Mobilfunk, zu Nachbar-Edges und zu den Nutzern. Weitere mögliche Edge-Standorte: Windkraftwerke, Solarparks, Bahnhöfe, Autobahnraststätten, Industriereviere, Lagerhallen, ehemalige Enterprise Data Center etc. Edge Data Center lassen sich zudem multifunktional nutzen – für Private und Hybrid Cloud, als Ressource für externe Nutzer oder sogar als Gebäudeheizung.
CW: Wie beeinflussen Edge Data Center das Management von Rechenzentren?
Wellinger: Es erscheint unmöglich, eine grössere Zahl entfernter Edge Data Center auf traditionelle Weise zu administrieren. Edge-Provider werden Manpower benötigen und Fachkräfte ausbilden müssen. Doch nur kompromissloses Remote Monitoring und vollautomatisiertes Infrastruktur-Management können helfen, den unterbrechungsfreien Betrieb zu gewährleisten. Fortschrittliche Lösungen werden mehr beherrschen als die akkurate Dokumentation der Ports und Kabel oder die Erkennung von Fehlern und Manipulationen in Echtzeit. Sie müssen für das Management von Zutritt, Arbeitsanweisungen, MAC-Planungen, Software, Ressourcen, Assets und Service Levels einsetzbar sein. Gefahrenabwehr, Predictive Maintenance, Kostenkontrolle zählen ebenfalls zu den wünschenswerten Features.



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