Künstliche Intelligenz 11.07.2023, 09:53 Uhr

Forscher blicken mit neuer KI-Technik live in Abläufe im Gehirn

Eine neue Methode, um in die Feinstrukturen des Gehirns zu schauen, hat ein Team um Wissenschaftler vom Institute of Science and Technology Austria (ISTA) in Klosterneuburg (NÖ) im Fachjournal «Nature Methods» präsentiert.
LIONESS kann die Probe so abbilden und rekonstruieren, dass viele dynamische Strukturen und Funktionen in lebendem Hirngewebe deutlich werden.
(Quelle: Johann Danzl)
Die Forscher stellten eine ausgeklügelte Abfolge an Mess- und Verarbeitungsschritten vor unter Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI). Sie erlaubt es, sehr genaue Bilder über die Zeit hinweg anzufertigen. Es handelt sich um eine Art 3D-Live-Betrachtung an lebendem Gewebe.
Da man mit dem neuen System hochaufgelöste Bilder und 3D-Rekonstruktionen erhält und im Gegensatz zu anderen Methoden die Probe nicht zerstört wird, heisst die Methode «Live Information Optimized Nanoscopy Enabling Saturated Segmentation» (LIONESS).
Dass ihr Ansatz funktioniert, haben die Forscher um Johann Danzl und die Arbeitsgruppe am ISTA mit Studien-Erstautor Philipp Velicky und Kollegen an im Labor kultiviertem Hirngewebe, an Gehirn-Organoiden und Proben aus dem Hippocampus von Versuchstieren gezeigt.
Während mit der Elektronenmikroskopie (EM) zwar sehr detaillierte Aufnahmen kleinster Strukturen in 3D gemacht werden können, müssen die Proben hier fixiert und dann physisch geschnitten oder schichtweise abgetragen werden. Das lässt ein Untersuchen von lebendem Gewebe nicht zu. Genau das interessiert aber viele Forscher, da gerade die Abläufe im Gehirn sehr dynamisch, veränderlich und komplex sind.

Einsatz von Farbstoff

Bei der Lichtmikroskopie wird rein optisch durch die Probe «geschnitten», aber die Auflösung von mehreren Hundert Nanometern ist zu gering, um Hirngewebe im Detail entschlüsseln zu können. Um auf höhere Auflösung zu kommen, wenden die Forscher deshalb spezielle Verfahren (Superresolution-Mikroskopie) an. Zur Live-Darstellung von Geweben baute das ISTA-Team auf Arbeiten anderer Forscher auf.
Sie versehen den Raum um die Zellen mit Farbstoff. Dann wird der negative Schatten der eigentlich unsichtbaren Zellen sozusagen belichtet. Will man das Gewebe allerdings in 3D abbilden und so feine Strukturen wie jene im Gehirn entschlüsseln, so muss man im Rahmen der Superresolution-Technik aber mit hohen Lichtintensitäten arbeiten, die dazu führen, dass man dem Gewebe quasi dabei zusehen kann, wie es durch die Wechselwirkung mit dem Licht zerstört wird, sagte Danzl im Gespräch mit der Nachrichtenagentur APA.
Um Hirngewebe in 3D zu rekonstruieren, während es lebt, gingen die Wissenschaftler daran, sich den gesamten Prozess von der Probenpräparation über die optische Bildgebung bis zur Interpretation anzusehen. Sie führten dabei Expertise aus ganz unterschiedlichen Bereichen zusammen – von der optischen Physik, Computerwissenschaft bis zu den Neurowissenschaften.
Das nun im Rahmen von LIONESS eingesetzte Licht liegt im Infrarotbereich, auch weil das für das Gewebe am schonendsten ist. Ausserdem veränderten die Wissenschaftler die Lichtmuster, mit denen die Probe bestrahlt wird, um die Auflösung in allen drei Raumrichtungen zu erhöhen. Der Schlüssel lag nun darin, das Ausmass an eingesetztem Licht möglichst gering zu halten, um die Probe so wenig wie möglich zu beeinflussen.

Deep-Learning-Methoden

Hier kamen Methoden des «Deep Learning» ins Spiel. So wird bei der neuen Methode jeder Bildpunkt nur sehr kurz (wenige Mikrosekunden) mit den Laserstrahlen abgerastert, sodass sich nach rund zwei Minuten ein 3D-Bild des Gewebevolumens aufgebaut hat.
In diesem Bild zeichnen sich aber die Strukturen nur grob vom Hintergrund ab. Dann kommen die KI-Systeme ins Spiel, die auf Basis dieses «geringen Signals» detailliertere Bilder aufbauen können, sagte Danzl. Das gelingt, weil die KI zuvor anhand vieler Bilder darauf trainiert wurde, wie sich derart wenige Bildinformationen in feine Strukturen des Hirngewebes übersetzen. Damit erhält man ein detailliertes Volumen-Bild des Gewebes in schwarz-weiss.
Die zweite «Deep Learning»-Ebene wurde dann anhand von Bildern von Gehirnstrukturen trainiert, welche die Forscher in einem zeitaufwendigen Prozess eigenhändig mit verschiedenen Farben versehen haben, für jede Nervenzelle mit all ihren feinen Strukturen eine eigene.
So lernte das System letztlich auch das Feinstrukturbild zu «kolorieren» und Strukturen in 3D einzelnen Nervenzellen zuzuweisen. Letztlich erstellt also die KI eine genaue Rekonstruktion des Gewebes, das eigentlich gar nicht so detailliert fotografiert wurde.
Die neue Methode eröffne in der Grundlagenforschung neue Möglichkeiten, weil sich nun die Veränderungen in einer Probe auf der Skala von Minuten bis Tagen fassen lassen und man gleichzeitig die molekularen Maschinerien und die zelluläre Signalaktivität in den räumlichen Kontext der zellulären Gewebestruktur stellen kann. So habe man bereits in Ansätzen gezeigt, dass sich damit nachvollziehen lässt, was sich in dem Nervenzellnetzwerk tut, wenn es manipuliert wird, erklärte Danzl.



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