HCLs Richard Jefts 20.01.2020, 10:30 Uhr

«Domino setzt auf Kooperation statt Konfrontation»

Seit dem Kauf von IBMs Domino und Notes läuft nicht alles rund bei HCL. Das sagt General Manager Richard Jefts im Interview. Bei Domino setzt er auf Kooperation statt Konfrontation.
Richard Jefts von HCL hat grosse Pläne für die nächsten Versionen von Domino und Notes
(Quelle: HCL)
Seit nunmehr gut zwei Jahren zeichnet nicht mehr IBM, sondern der IT-Dienstleister HCL für die Collaboration-Anwendungen Domino und Notes verantwortlich. Trotz zwei grosser Updates während der zwei Jahre tut sich im Markt allerdings wenig. Die Kunden setzen die Software zwar weiterhin ein, teilweise allerdings ohne Support oder einen Wartungsvertrag. Unterdessen versucht HCL nach Aussage von General Manager Richard Jefts alles, um die Programme wieder attraktiv zu machen. Weniger als Konkurrenz zu Microsoft, umso mehr als Ergänzung zu den Lösungen des Weltmarktführers.
Computerworld: Wie sieht der Collaboration-Markt heute aus Sicht von HCL aus?
Richard Jefts: Ich will ganz ehrlich zugeben, dass Microsoft im Office-Markt einen guten Job gemacht hat. Sie sind mit den Office-Applikationen in den meisten Organisationen fest verwurzelt.
Schon während meiner früheren Tätigkeit bei Cisco habe ich gelernt, dass ein direkter Konkurrenzkampf mit Microsoft nicht sehr erfolgversprechend ist. Deshalb fokussiert sich HCL in den nächsten Versionen von Connections und Domino nicht auf die Konfrontation, sondern auf die Kooperation.
Ein Beispiel ist die Integration von Connections mit SharePoint: In vielen Firmen wird die Microsoft-Lösung hauptsächlich für die Datei-Ablage benutzt. Die Anwender deponieren dort ihre Dokumente und fassen sie anschliessend nie wieder an, weil sie schwer wiederzufinden sind. So gehen wertvolle Informationen verloren. Wenn nun in Connections allein schon anhand der Aktion und Interaktion der Mitarbeiter die Dokumente verschlagwortet werden, können die Unternehmen sich den Mehrwert aus den Inhalten neu erschliessen.
Ein anderes Beispiel ist die Integration von Connections und Teams: Das Microsoft-Tool funktioniert gut in Gruppen etwa 20 Mitgliedern. Steigt die Anzahl der Teilnehmer oder die Dauer der Konversation, wird die Kommunikation schnell unübersichtlich. Wenn aber ein Teams-Chat zum Beispiel in einen Connections-Blog oder -Forum implementiert wird, können mehr User der Konversation folgen, ohne dass die eigentliche Interaktion unübersichtlich wird. In diesem Bereich haben wir schon im ersten Halbjahr sehr konkrete Pläne.
Computerworld: Welchen Schwerpunkt legen Sie bei der Weiterentwicklung von Domino und Notes?
Jefts: Domino ist mit den neuen Versionen zu einer modernen Entwicklungsumgebung geworden. Wenn ein Programmierer heute auf der Plattform eine App entwickeln will, muss er nicht mehr zwingend LotusScript beherrschen. Zukünftig sollen auch Nicht-Entwickler eigene Apps generieren können. Dafür entwickeln wir die Lösung «Volt», die einen Designer und grafische Workflow-Elemente mitbringt. Sie ist gerade in den Betatest gegangen. Mit diesem Tool wollen wir die ursprüngliche Stärke von Domino und Notes wiederbeleben: die Business-Anwendungen. E-Mail ist zwar ein nettes Nebengeschäft, aber streng genommen auch nur eine hoch integrierte App.
Das zweite Investitionsfeld ist der Thin Client. Die Software wird auf dem WebAssembly-Standard aufsetzen und einen der grössten Kritikpunkte am aktuellen Produkt adressieren: die Problematik von Client-Updates. Die Kunden haben heute wenig Schwierigkeiten bei der Wartung der Server-Software. Das Update von beispielsweise 100'000 Clients bereitet ihnen aber grosse Kopfschmerzen. Die neuen Versionen müssen getestet, in das Sicherheitskonzept eingepasst und mit Umsystemen integriert werden. Dabei vergehen schon gern einmal 12 bis 18 Monate. Mit einem Standard-basierten Thin Client entfallen all diese aufwendigen Arbeiten.
Zur Person
Richard Jefts
zeichnet als General Manager und Vice President Collaborative Workflow Platforms bei HCL für die Weiterentwicklung der IBM-Lösungen Domino und Notes verantwortlich. In früheren Rollen war er während über vier Jahren bei IBM für die Entwicklung sowie Vermarktung von Produktivitätsanwendungen zuständig. Zuvor hatte Jefts Führungspositionen inne bei Cisco, Colt Technologies, Avid und Oak.

800 Entwickler für Domino und Notes

Computerworld: Wo steht HCL bei der Marktbearbeitung für Domino und Notes?
Jefts: Wir wissen, dass wir im operativen Geschäft noch Optimierungspotenzial haben. Insbesondere müssen wir die Effizienz und die Konsistenz des Betriebs verbessern. Wir haben in den vergangenen Monaten auch unter der Tatsache gelitten, dass wir durch das Rekrutieren neuer Mitarbeiter stark gewachsen sind. Beispielsweise beschäftigen wir in Manila (Philippinen) neu annähernd 300 Personen. Damit sind wir nun in der Lange, nach dem «Follow the Sun»-Prinzip rund um die Uhr entwickeln zu können. An den indischen Standorten Bangalore und Pune wurden die Belegschaften signifikant aufgestockt, am US-amerikanischen Hauptsitz in Boston ebenfalls – und auch in D-A-CH.
Weiter habe ich drei frühere Kollegen von Cisco für HCL gewinnen können, die eine grosse Expertise in der Software-Entwicklung mitbringen. Sie fokussieren nun auf die operationale Effizienz und Konsistenz innerhalb der 800 Personen starken Developer Group. Aktuell analysieren sie im Detail, wie bis anhin Software entwickelt wurde, welche Baustellen offen sind und wie Kundenbedürfnisse noch besser adressiert werden. Ihr Ziel ist, eine agile Organisation zu schaffen, in der die Agilität auch wirklich gelebt wird. Ein Problem der Vergangenheit war, dass viel über Agilität gesprochen wurde, die Entwicklung und die Prozesse aber eher weniger agil waren. Vieles funktionierte noch wie ein Wasserfall.
Computerworld: Sind agile Methoden tatsächlich das Allheilmittel? Tut es ein Wasserfall-Vorgehen nicht für einige Projekte ebenfalls?
Jefts: Durchaus! Einige unserer Legacy-Projekte werden auch weiterhin nach der Wasserfall-Methode fortgeführt. Für alle anderen sind allerdings agile Vorgehen mit zwei- oder vierwöchigen Sprints der optimale Ansatz. Dieser Wandel muss nun vorangetrieben werden, damit wir unsere ambitionierten Ziele erreichen können.
Jenseits davon bauen wir in Person von Jason Gary derzeit eine eigenständige Research-Organisation auf. Gary war früher verantwortlich für das Digital Experience Portal auf Basis von WebSphere. Diese Kenntnisse soll er in Zukunft zusammen mit rund 40 Programmierern in coolen Lösungen sowie Produkten umsetzen. Von den Ergebnissen werden sich nicht alle realisieren lassen, das wissen wir schon jetzt. Allerdings können wir auch mit Prototypen auf die Kunden zugehen, um ihnen neue Möglichkeiten aufzuzeigen. Dann ist dieses Geld für den Research-Bereich ebenfalls gut angelegt.
Unter dem Strich: Wir wandeln unsere bestehende Entwickler-Organisation in eine moderne Software-Fabrik. Und wir forschen im Research-Bereich an potenziell innovativen Lösungen. Diese Änderungen sind zwingend notwendig, denn in den vergangenen 18 Monaten haben wir zwar einige Dinge wirklich gut gemacht, bei anderen haben wir weniger gut performt oder gar Fehler gemacht.
Computerworld: Was wurde wirklich gut gemacht und wo haben Sie Fehler erkannt?
Jefts: Gut war, dass wir unsere Versprechen eingehalten haben. Die Version 10 von Notes und Domino wurde vor etwas mehr als einem Jahr lanciert, Version 11 folgte Ende des vergangenen Jahres und an Version 12 wird derzeit gearbeitet.
Weniger erfreulich war, dass intern noch recht viel suboptimal gelaufen ist. Es gab viele Ineffizienzen und Inkonsistenzen – unter denen auch die Kunden und Partner gelitten haben. In den USA haben wir das Sprichwort: «You don't want to know how the Sausage is made.» (Deutsch: «Du willst nicht wissen, wie die Wurst gemacht wurde.») Die internen Unzulänglichkeiten müssen wir abstellen. Oder jedenfalls so gut managen, dass niemand ausserhalb der Organisation darunter leidet.
Uns ist bewusst, dass die Partner in Zukunft mehr Aufmerksamkeit bekommen müssen. Sie sind diejenigen Personen, die permanent in Kontakt mit den Kunden sind. Dafür benötigen sie unseren Support. Seien es die Ansprechpartner bei HCL, Demos und Werbemittel für das Marketing oder auch «nur» ein frischer Look für die bestehenden Produkte.
Zur Firma
HCL Technologies
ist ein global tätiges IT-Dienstleistungsunternehmen mit Hauptsitz in der nordindischen Industriestadt Noida. Der Konzern ist in 39 Ländern mit eigenen Niederlassungen präsent und beschäftigt weltweit rund 120'000 Mitarbeiter. Im Sommer 2019 übernahm HCL das geistige Eigentum an unter anderem Connections, Domino und Notes von IBM.

Altlasten beseitigt, Kunden kehren zurück

Computerworld: Welche Rückmeldung haben Sie von den Schweizer Kunden bekommen?
Jefts: Eine Reihe von Ansprechpartnern bei den Schweizer Kunden lobte uns für die Transparenz. Sie schätzten, dass wir aktiv an die Herausforderungen herangehen. Und sie betonten, dass wir mit den Versionen 10 und 11 von Domino sowie Notes ein positives Signal zur Zukunft der Software gesendet haben. Nun gibt es aber auch die Erwartung, dass wir mit Version 12 adäquat nachlegen. Ich ziehe hier gern als Vergleich den Gewinn des Superbowls heran: Es ist schon schwierig genug, den Final einmal zu gewinnen. Ein zweites Mal ist aber noch ungleich schwieriger.
Computerworld: Hoffentlich sind Sie kein Patriots-Fan. . .
Jefts: Doch selbstverständlich, denn ich stamme aus Boston [lacht]. Leider haben sie nun nicht mehr die Chance, den Superbowl erneut zu gewinnen. Wirklich schade!
Doch zurück zum Geschäft: Einige negative Rückmeldungen haben wir bekommen wegen unseres Entscheids, die bisherigen Cloud-Instanzen nicht mehr weiter zu betreiben. Der Grund war, dass die Instanzen komplett aus IBM-Komponenten bestanden. DB 2, SoftLayer und WebSphere kamen unter anderem zum Einsatz. Die Architektur war zehn Jahre alt. Mit modernen Technologien hätte man die Plattform vollkommen anders aufgesetzt. Im Ist-Zustand gab es aber keine Option, die Lösungen aus IBM herauszulösen. Die Plattform hätte uns zu eng an Big Blue gebunden.
Nun ist der Entscheid getroffen. Die Uralt-Cloud wird abgestellt, die Kunden bekommen die Wahl der Cloud-Plattform. Wir unterstützen sowohl eine Private Cloud, eine Hybrid Cloud als auch eine Public Cloud. Weiter können die Kunden wählen, ob die Daten innerhalb der Schweiz gehostet werden sollen. Unser Partner Belsoft aus Zürich hat ein passendes Angebot für Kunden, die auf der lokalen Datenhaltung bestehen.
Computerworld: Gibt es Kunden, die nicht auf der Datenhaltung in ihrem Land bestehen?
Jefts: Ja, viele Unternehmen in den USA. Sie kümmert es weit weniger als die europäischen Firmen, wo ihre Daten abgelegt sind und wer Zugriff auf die Inhalte hat. Sie können auch von den Angeboten aus der HCL-Cloud profitieren, die derzeit in der Entwicklung sind: beispielsweise Domino Apps in der Cloud und Connections in der Cloud.
Bewusst verzichten werden wir als Hersteller hingegen auf einen Dienst für E-Mail aus der Cloud. In dem Verzicht spiegelt sich die aktuelle Marktentwicklung wider. Und die vergleichsweise hohen Kosten für die Implementierung sowie den Betrieb. Aus unserer Sicht ist mit E-Mail aus der Cloud kein Geschäft zu machen. Unsere Partner sehen das anders und bieten auf Basis unserer Software durchaus E-Mail aus der Cloud an – und wir unterstützen sie in der Software-Entwicklung dafür.
Computerworld: Bleiben Ihnen die Kunden bis anhin bei der Stange?
Jefts: Für unsere Marktbearbeitung haben wir drei Phasen definiert: Innerhalb der ersten Phase, die anderthalb Jahre angedauert hat, haben wir die bestehenden Kunden versucht zu halten. Unsere Argumente waren: HCL hat Domino und Notes neues Leben eingehaucht, liefert jetzt stetig und schnell Updates sowie auch neue Features aus. Diese Aussagen wurden gehört. Schrumpfte das Geschäft zuvor im zweistelligen Prozentbereich, schrumpft es mittlerweile nur noch einstellig.
In der zweiten Phase versuchen wir, Kunden zurück zu gewinnen, die sich während des Stillstands der vergangenen fünf bis sechs Jahre aus der Wartung verabschiedet haben. Sie verwenden die Software zwar weiterhin, zahlen aber keine Support-Gebühren mehr. Binnen Jahresfrist wuchs die Anzahl der Rückkehrer in die Wartungsverträge um 60 Prozent.
Für die dritte Phase mit der Lancierung von Version 12 von Domino erwarte ich dann echte Neukunden. Die Produktinnovation plus die Ergänzung von Microsoft-Lösungen dürften auf viel Interesse bei den Anwendern stossen. Hier werden wir auch neue Unternehmen für zum Beispiel Domino und Connections gewinnen.
Computerworld: Welche Bedeutung hat der Schweizer Markt für HCL Software?
Jefts: Die detaillierten Zahlen kann ich nicht nennen. Aber ich kann sagen, dass nach den USA der deutschsprachige Raum für HCL der zweitgrösste Markt überhaupt ist. Innerhalb der DACH-Region hat die Schweiz einen grösseren Anteil als man annehmen möchte. Unsere Kunden kommen aus dem Bereich der Behörden, Finanzdienstleistungen und Healthcare. In allen drei Branchen ist die Schweiz stark vertreten.



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