Oracles Andrew Mendelsohn 14.01.2020, 07:44 Uhr

«Autonome Datenbanken sind so weit wie autonome Autos»

Oracles Datenbank ist eng verbunden mit dem Namen Andrew Mendelsohn. Er ist seit über 35 Jahren im Konzern. Wie er im Interview sagt, können er und seine Kollegen die Technologie heute noch so entwickeln wie 1984.
Andrew Mendelsohn ist seit 1984 bei Oracle mit der Weiterentwicklung der Datenbank-Technologie beschäftigt
(Quelle: Oracle)
Kaum jemand kennt Oracles Datenbank so gut wie Andrew Mendelsohn. Er stieg 1984 bei dem Konzern als Entwickler ein und ist heute noch verantwortlich für die Datenbank-Technologie. Parallel hat sich Oracle zum Weltmarktführer und zum Lieferanten von Hard- sowie Software weiterentwickelt. Wie Mendelsohn im Gespräch mit Computerworld sagt, hat Oracle-Mitgründer Larry Ellison den Gründergeist der frühen Jahre im Unternehmen erhalten können. Teilweise agiert Oracle noch heute wie ein Start-up, sagt der Executive Vice President.
Computerworld: Sie sind beeindruckende 35 Jahre im Datenbankgeschäft bei Oracle tätig. Welche Faszination übt die Technologie auf Sie aus?
Andrew Mendelsohn: Bevor ich 1984 meinen Job bei Oracle antrat, hatte ich einige Jahre bei HP und bei einem Start-up gearbeitet. Ich hielt Oracle für eine ausgereiftes Unternehmen, obwohl es gerade einmal sieben Jahre alt war.
Mitte der 1980er begann sich der Markt für relationale Datenbanken gerade zu entwickeln. Der einzige echte Wettbewerber war Ingres. Mit hoher Marketingaktivität hatte Oracle allerdings bereits Ende der 1980er grosse Marktanteile gewonnen – obwohl es noch eine Nische war. Als das Käuferinteresse anstieg, wuchsen auch die Absätze von Oracle rapide an.
Trotz der schon siebenjährigen Historie war Oracle eher noch ein Start-up als ein wirklich etablierter Betrieb, stellte ich fest. Ein Hauptgrund war, dass der Mitgründer Larry Ellison die Geschäfte selbst führte – und es bis heute tut. Diese Dynamik ist in meinem Team immer noch so ähnlich wie vor 35 Jahren. Ich würde behaupten, so etwas gibt es nur bei einem inhabergeführten Unternehmen.
Unsere neuste Entwicklung, die autonome Datenbank in der Cloud, wird wie ein Start-up gesteuert: Neuerungen spielen wir kontinuierlich in den Code ein, auf Kundenbedürfnisse reagieren wir pragmatisch und schnell. Nebenbei: Wenn wir unsere On-Premises-Systeme so häufig aktualisieren würden, hätten wir bald grosse Probleme mit den Kunden. Denn sie kämen mit dem Einspielen von Patches und Updates kaum noch hinterher.
Doch zurück zu Ihrer Frage: Oracle war damals und ist heute ein besonderes Unternehmen, das nicht von Bürokraten geführt wird, wie es typisch wäre für einen Konzern dieser Grösse. Dort zu arbeiten macht keinen Spass. Bei Oracle zu arbeiten macht hingegen Spass, denn der Geschäftsführer ist ein Entrepreneur.
Computerworld: Larry Ellison ist der Hauptgrund, warum Sie noch nach 35 Jahren bei Oracle arbeiten?
Mendelsohn: Er ist einer der Gründe. Aber natürlich hat sich mein Job bei Oracle über die Jahrzehnte auch weiterentwickelt. Ich bin als Entwickler gestartet. Mittlerweile programmiere ich nicht mehr, sondern leite die Ingenieure an, wie sie die Software gestalten sollen. Sowohl im übertragenen als auch im wörtlichen Sinne: Wir müssen mit dem technologischen Fortschritt mithalten und auch beispielsweise zeitgemässe Bedienoberflächen für die Cloud entwickeln.
Dabei bewegen wir uns in einem spannenden Umfeld: Wohl kaum eine andere Technologie hat sich in den vergangenen 35 Jahren so sehr weiterentwickelt wie die Datenbanken. Heute sind sie wichtiger denn je. Wenn ich mit Kunden spreche, höre ich von fast jedem, dass er sein Unternehmen in ein Daten-getriebenes Business verwandeln will. Die anderen wollen mit künstlicher Intelligenz und Machine Learning ihre Datenbestände analysieren. Damit werden Daten zum geschäftskritischen Asset – und Oracle bleibt ein wichtiger Partner für die Unternehmen.
Zur Person
Andrew Mendelsohn
amtiert als Executive Vice President für den Bereich Datenbank-Technologie bei Oracle. In dieser Rolle ist er verantwortlich für die Entwicklung und das Produktmanagement der Datenbank-Lösungen sowie auch die Cloud-Services. Bereits seit über 35 Jahren ist Mendelsohn bei Oracle beschäftigt. Beim Eintritt 1984 half er bei der Entwicklung des Release 5.1 der Oracle-Datenbank mit. Seine berufliche Laufbahn startete er bei HP und dem Dienstleister Esvel. Mendelsohn hält einen Abschluss in Elektrotechnik und Informatik von der Princeton University.

Disruptive neue Speichertechnologie

Computerworld: Was war die grösste Herausforderung im Bereich Datenbanken in den vergangenen Jahren?
Mendelsohn: Die grösste Herausforderung war und ist, dass wir unsere Datenbank-Software parallel mit der zugrundeliegenden Technologie immer weiterentwickeln. So stehen wir heute an der Schwelle einer neuen Speichertechnologie, die disruptiv ist, aber bisher noch wenig beachtet wurde. Das «Persistent Memory» – deutsch: nicht-flüchtiger Speicher – liefert zurzeit Intel unter dem Markennamen «Optane» aus. Die Technologie hat das Potenzial, sämtliche Parameter des Datenbank-Designs grundlegend zu verändern.
Bis anhin wurden Datenbanken so programmiert, dass sie möglichst wenig Lese-/Schreibzugriffe ausführen mussten. Das galt für Disk- genau wie für Flash-Speicher. Wenn der Speicher nun nicht mehr flüchtig ist, spielt es keine Rolle mehr, wie häufig auf die Daten lesend oder schreibend zugegriffen wird. Damit muss Oracle die Architektur seiner Datenbank verändern, um weiterhin die bestmögliche Leistung anbieten zu können. Das ist nicht ganz trivial.
Computerworld: Welche Herausforderungen sehen Sie bei Oracle-Datenbanken?
Mendelsohn: Im Vergleich mit allen anderen relationalen Datenbanken können Oracle-Lösungen bei transaktionalen Workloads beliebig skalieren. Wenn ein Datenbankserver nicht mehr ausreicht, stellen Kunden einen zweiten Server ins Rechenzentrum. Die Funktion «RAC» (Real Application Clusters) erlaubt dann die Skalierung. Dieses Feature bieten weder MySQL, Postgres noch der SQL Server von Microsoft.
Für den Einsatz von Persistent Memory müssen wir auch RAC neu konfigurieren, was derzeit ein grosses Entwicklungsprojekt bei Oracle ist. Aber natürlich wollen wir unser Alleinstellungsmerkmal gerne behalten, weshalb wir hier viel Geld in die Hand nehmen.
Computerworld: Oracle spricht viel über die Autonomous Database. Wie autonom ist die Software wirklich?
Mendelsohn: Sie können die Autonomous Database mit einem selbstfahrenden Auto vergleichen: Beide sind noch am Anfang der Entwicklung, die bestimmt erst in den nächsten 30 Jahren wirklich ausgereift sein wird.
Was wir heute haben, ist allerdings schon bemerkenswert gut: Wenn Sie beispielsweise einen Administrator bitten, für Sie eine Exadata-Maschine aufzusetzen mit einer Oracle-Datenbank 19c und einer Multi-Tenancy-Architektur, wird er Ihnen das System frühestens in zwei Wochen bereitstellen können. Mit einem kostenlosen Kundenkonto auf unserer Webseite stehen die Ressourcen nach wenigen Mausklicks innerhalb von Minuten bereit.
Computerworld: Gutes Stichwort: Sie machen neu die autonome Datenbank den Entwicklern und Kunden kostenfrei zugänglich. Was ist das Kalkül?
Mendelsohn: Das Angebot wendet sich natürlich nicht an die Credit Suisse, wenn sie ihre Datenbanken in die Cloud auslagern wollten [lacht]. Es ist vielmehr gedacht für Studierende und Entwickler, die unsere Technologie ausprobieren möchten. In der Ausbildung bereiten wir die Studenten darauf vor, später im Job womöglich mit Oracle-Lösungen zu arbeiten. Die Programmierer – in erster Linie in den Fachbereichen – sind diejenigen Zielpersonen, die heute Entscheidungen über neue Geschäftsanwendungen treffen. Wenn sie schon früh testen können, wie Oracle-Technologie helfen kann, kommen sie bei einem Projekt eher darauf zurück. Wir hatten keine andere Wahl als den Interessenten unsere Plattform gratis bereitzustellen. Denn überall sonst können die Kunden neue Services ebenfalls kostenfrei testen.
Computerworld: Mussten Sie sich schon Beschwerden von Datenbankadministratoren anhören, die wegen der neuen Technologie nun Befürchtungen um ihren Job haben?
Mendelsohn: Da gibt es solche und solche: Einige Administratoren sind ausschliesslich mit der Installation, dem Patching und der Wartung beschäftigt. Jenseits des Betriebs der Software tragen sie nichts zum Geschäft bei. Sie sollten und sind sich sicherlich bewusst, dass dieser Job heute oder in naher Zukunft automatisiert werden wird.
In der Mehrzahl der Unternehmen können die Administratoren einen echten Mehrwert für das Geschäft liefern. Denn sie wissen, welche Daten vorhanden sind, wie sie strukturiert sind und wie ein Zugriff erfolgen kann. Wenn die Daten sinnvoll genutzt werden, können sich Firmen geschäftliche Vorteile schaffen. Hier kommt den Administratoren eine wichtige Rolle zu – allerdings eher als «Daten-Ingenieure» denn als klassische IT-Angestellte.

Die ideale Datenbank

Computerworld: Wie würden Sie die ideale Datenbank definieren?
Mendelsohn: Mit der autonomen Datenbank kommen wir der idealen Datenbank schon sehr nahe. Einerseits befreien wir die IT von den lästigen Arbeiten bei der Pflege und der Wartung der Software. Andererseits geben wir den Analysten und Datenwissenschaftlern eine einfach managebare Plattform, auf der sie ohne viel Programmieraufwand diejenigen Applikationen bauen können, die den Fachbereichen im Geschäft helfen.
Andrew Mendelsohn sieht Oracle im Hypescaler-Geschäft auf der Überholspur
Quelle: Oracle
Computerworld: Im Geschäft mit SAP kündigt sich ein Wandel an: Die Kunden sollen weg von Oracle und hin zu SAP-Datenbanken. Wie sehen Sie die Entwicklung, welche Massnahmen ergreifen Sie allenfalls?
Mendelsohn: Die traditionellen R/3-Applikationen von SAP waren offen für alle Datenbank-Anbieter, darunter Oracle, Microsoft und Open Source. Somit ist Stand heute SAP einer der grössten Wiederverkäufer von Oracle-Datenbanken. Aber natürlich entscheidet alleine SAP, auf welchen Plattformen ihre zukünftige Software laufen soll.
Bis anhin tönte SAPs Ankündigung so, als wenn 2025 der Support für R/3 beendet werden soll. Allerdings bin ich sehr sicher, dass wenn der Stichtag näher rückt, der Support bis 2030 verlängert wird. Und so weiter.
Angesichts dieser Situation sind die Kunden nicht besonders eifrig, die Datenbank-Plattform oder das ERP zu wechseln. Denn die Migration auf die S/4Hana-Lösung ist kein Upgrade, für das der Kunde nur einen Knopf drücken muss. Es ist eine grosse Umstellung mit vielen Hindernissen und Hürden. Und die Migration ist für Oracle eine grosse Chance, selbst im Applikations-Geschäft zu wachsen. Denn wir können gute Alternativen zu SAP bieten, bei denen die Kunden nicht so viel Aufwand haben.
Computerworld: Neu ist auch Oracle ein Hyperscaler. Welche Erfolge konnten Sie bereits erzielen?
Mendelsohn: In den vergangenen zwölf Monaten hat Oracle viel in die Infrastruktur investiert. Wir haben überall auf der Welt eigene Rechenzentren eröffnet, auch beispielsweise in Zürich. An der Hausmesse «OpenWorld» im vergangenen September stellte Larry Ellison in Aussicht, dass wir zum gleichen Zeitpunkt des neuen Jahres an mehr Standorten präsent sein werden als der globale Marktführer Amazon. Dann wird niemand mehr behaupten können, Oracle hätte die Cloud verschlafen.
Ausserdem bieten wir unseren Kunden mit «Cloud at Customer» die Wahl des Standorts der Daten. Mit «Dedicated Regions» können Grosskunden die Vorteile der Public Cloud nutzen, ohne dass ihre Daten eine bestimmte Geografie verlassen.
Computerworld: Was können Kunden in der Oracle Cloud Infrastructure tun, das anderswo nicht möglich ist?
Mendelsohn: Sie haben den Vorteil einer soliden Datenbank. In der Public Cloud geht es weniger um die besten virtuellen Maschinen, den schnellsten Speicher oder das beste Netzwerk. Diese Komponenten sind austauschbar. In einem Monat mag Amazon die schnellsten Server haben, im nächsten Monat ist es Microsoft, im dritten sind es wir. Die einzige Frage lautet hier, wer die Hardware am schnellsten installieren oder austauschen kann. Allerdings haben die Kunden nur bei uns den Zugriff auf eine autonome Datenbank mit industrieweit führenden Analysemöglichkeiten.
Zur Firma
Oracle
wurde im Juni 1977 von Larry Ellison, Bob Miner und Ed Oates als Software Development Laboratories (SDL) im kalifornischen Santa Clara gegründet. Die selbstentwickelte relationalen Datenbank trug den Namen Oracle. Auftraggeber war der US-amerikanische Auslandsgeheimdienst CIA. Zwei Jahre später folgte die Umfirmierung in Relational Software, 1982 gab sich die Firma ihren heutigen Namen. Bereits 1987 erreichte Oracle die Marktführerschaft im Datenbank-Segment mit 4500 Kunden aus 55 Ländern und einem Umsatz von 100 Millionen US-Dollar. 2004 startete der Konzern eine Reihe von grossen Übernahmen: PeopleSoft und Siebel (2005), Hyperion und Bea (2007), Sun (2010) sowie 2014 dann zuletzt Micros Systems. Im gleichen Jahr zog sich Mitgründer Ellison vom CEO-Posten zurück und übergab an Safra Catz sowie den kürzlich verstorbenen Mark Hurd.



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