21.04.2010, 06:00 Uhr

Umsteigen auf ein neues System

Wer auf das richtige System setzt, hat bei der Konkurrenz die Nase vorn. Jedes zweite Schweizer Unternehmen will jetzt endlich sein Betriebssystem updaten - auf Windows 7.
Drei Departemente der Berner Bundesverwaltung lösen Windows XP nicht mit Vista, sondern mit Windows 7 ab - koste es, was es wolle. Und es kostet: Für die Einführung des «elektronischen Standard-arbeitsplatzes» kalkulierte der Bund zirka 44 Millionen Franken. Das Update auf Windows 7 in EDI, EJPD und UVEK kostet zusätzliche 4 Millionen Franken. Dann arbeiten rund die Hälfte der insgesamt zu migrierenden 38000 Rechner mit einem Betriebssystem, das «einige Verbesserungen» mitbringt, erklärt der Delegierte für die Informatikstrategie des Bundes Peter Fischer.
Diese Entscheidung - wenn auch getragen von nur schwachen Argumenten - steht symbolisch für die Trends und die Stimmung in der Schweizer Software-Branche. Hier ist einiges im Argen.

Grossprojekte stehen an

Auf der Ebene des Betriebssystems gab und gibt es einen Reformstau, den die Firmen nun aufzulösen beginnen. So ergab die aktuelle «Swiss IT»-Studie von Computerworld und IDC, dass fast jedes zweite Anwenderunternehmen die Migration auf ein neues Betriebssystem plant (Grafik 1). Dieser Anteil hat sich im Vergleich mit dem Vorjahr mehr als verdoppelt. Das hat vor allem mit der Verfügbarkeit von Windows 7 zu tun, dem von Analysten und Medien mehrheitlich ein gutes Zeugnis ausgestellt wurde. Hinzu kommt, dass laut unserer Umfrage viele Unternehmen noch nicht auf Vista umgestiegen sind. Sie setzen weiterhin auf Windows XP, das schon heute die «Extended Support»-Phase erreicht hat, in der Microsoft nur noch die nötigsten Änderungen vornimmt. Spätestens im Jahr 2014 wird auch dieser Support endgültig eingestellt. Entsprechend hoch ist mittlerweile der Druck, einen Wechsel anzustossen. Entsprechend unseren Umfrageergebnissen ist Windows 7 hierfür offenbar eine akzeptable Lösung.
Der Schuh drückt aber auch bei den Themen Archivierung und Compliance. So wollen 42 Prozent der Schweizer Unternehmen im laufenden Jahr eine Dokumentenmanagementlösung einführen oder die vorhandene aktualisieren. Im Allgemeinen sind die einheimischen Konzerne beim Thema Dokumenten-management aber bereits gut aufgestellt. Jede zweite Firma besitzt schon eine Lösung. Allerdings gibt es in Zeiten steigender Datenflut etwa in der Verwaltung, im Vertrieb, bei Entwicklung oder Produktion vermehrt die Notwendigkeit, Informationen zu kanalisieren. Dabei steht die geschäftliche Verwertung im Vordergrund: Dem Beratungsunternehmen Capgemini sagten IT-Verantwortliche von 133 mittleren und grossen Firmen, ihre grösste Herausforderung sei derzeit, Datenbestände für die Unternehmensprozesse nutzbar zu machen. «In diesem Jahr dominieren Projekte, die das Ziel haben, aus bereits gesammelten Daten zusätzlichen Mehrwert für das Geschäft zu generieren. Die IT spielt also eine immer grössere Rolle bei der Umsetzung unternehmerischer Ziele», skizziert Capgemini-Chef Peter Lempp die anstehenden Aufgaben.

Herausforderungen bewältigt

Die Anbieter von Branchenlösungen haben ihre Arbeit grösstenteils erledigt, denn dieses Thema verlor massiv an Bedeutung. Schrieben sich vor einem Jahr noch 46 Prozent der Anwender ins Pflichtenheft, die industriespezifischen Applikationen erneuern zu wollen, sind es heute noch 29. Ähnlich wie beim Dokumentenmanagement starten die Unternehmen allerdings nicht bei null. Laut IDC setzt mehr als jede zweite Schweizer Firma schon spezielle Branchenlösungen ein. Besonders verbreitet sind diese bei Versorgungskonzernen, bei den Finanzdienstleistern und den Firmen der diskreten Fertigung.
Branchenübergreifend hat sich auch das Interesse an Standard-Software verringert: von 34 auf 28 Prozent. Ein Grund ist, dass Standardisierung mittlerweile umgesetzt oder zumindest auf dem Vormarsch ist. In Krisenzeiten waren CIOs aufgefordert, die Sparschraube anzuziehen. Das taten sie erfolgreich, indem sie die IT-Abteilung industrialisierten. Capgemini stuft mittlerweile die Anwenderunternehmen mehrheitlich als «Industrialisierungsvorreiter» ein. 48 Prozent (2008: 35 Prozent) der Firmen haben ihre IT verschlankt, Hardware sowie Software standardisiert, Prozesse automatisiert und lassen viele Leistungen extern erbringen. Im Gegensatz dazu beschäftigten «Industrialisierungsnachzügler» viele eigene IT-Mitarbeiter, sind wenig standardisiert und lagern kaum aus. Ihr Anteil schrumpfte von 45 auf 30 Prozent.
Da die IT bei der Standardisierung ihre Aufgaben grösstenteils erledigt hat, bleibt ihr Raum für neue Projekte. Eines davon ist bei Schweizer Anwendern die Einführung respektive das Update der ERP-Systeme. 25 Prozent der Unternehmen haben dies auf der Agenda, vor einem Jahr waren es nur 19 Prozent. Überdurchschnittlich häufig anzutreffen sind solche ERP-Projekte laut unserer «Swiss IT»-Umfrage im gehobenen Mittelstand mit 250 bis 500 Beschäftigten. Den Trend zum grösseren Business-Fokus in Betrieben mit standardisierter IT bestätigt eine Erhebung des Beratungsunternehmens A.T. Kearney. So betonen die 55 befragten Top-Manager die Wichtigkeit von ERP-Implemetierungen, um Kosten in den Fachabteilungen zu drücken. Sogar «weitreichende» Einsparungen versprechen sich die Entscheider durch das Automatisieren von Abläufen und das Vereinfachen von Prozessen im Business. «Gelingt es den CIOs, die IT unter den derzeit erschwerten Bedingungen zu transformieren, können Wachstumsimpulse gegeben und auch die Profitabilität nachhaltig verbessert werden», meint Marcus Eul, Partner bei A.T. Kearney.

Hersteller als Wachstumsbremse

Um Ziele wie Kostenreduktion und Prozessoptimierung zu erreichen, ist die IT allerdings auf Software-Hersteller angewiesen, die mitziehen. Schweizer Anwenderfirmen werden dabei aber nur unzureichend unterstützt: Waren die Noten für die Software-Zulieferer im vergangenen Jahr schon schlecht, haben sie sich in unserer aktuellen Umfrage nochmals verschlechtert.
Harsche Kritik üben die Anwender weiterhin an den Preisen: Der erreichte Wert von 2,4 (1 = total unzufrieden, 5 = sehr zufrieden) ist noch einmal signifikant tiefer als im Vorjahr (2,9). Als ein Grund muss das Hickhack um den teuren Enterprise-Support für Schweizer SAP-Anwender gesehen werden. Obgleich der ERP-Marktführer mittlerweile zurückgekrebst ist, bleibt für die Anwender doch ein übler Nachgeschmack, den sie durch eine nochmals tiefere Benotung ausdrücken. Aber auch Microsoft dürfte mit seiner versteckten Preiserhöhung beim nächsten Office-Paket dafür mitverantwortlich sein. Der weltgrösste Software-Produzent streicht die günstigeren Update-Varianten komplett aus seinem Portfolio und zwingt den Kunden so, das Vollprodukt zu kaufen. Das kostet selbstredend gleich viel wie bisher, in der Schweiz teilweise das Doppelte im Vergleich mit den USA. Dafür gibts zu Recht ein schlechtes Zeugnis.
Auch die Nutzerfreundlichkeit der Software bewerten die Anwender nochmals schlechter als im Vorjahr (Grafik 2). Vista und Windows 7 scheinen das kleinste Übel, Office 2007 schon eher. Mit dem Menüersatz «Multifunktionsleiste» mögen sich die Anwender nicht recht anfreunden, was sich in erhöhtem Schulungsbedarf widerspiegelt. Die Zürcher Digicomp Academy hat annähernd 100 Office-Kurse auf ihrem Schulungsplan - so viele wie sonst zu keinem anderen Thema. Erwiesenermassen schlecht ist auch die Bedienbarkeit von BI-Lösungen. Branchenguru Nigel Pendse kreidet dies in seinem «BI Survey» jedes Jahr aufs Neue an. Neben der Bedienoberfläche sei auch die Performance mangelhaft, so Pendse. Die logische Folge: BI-Software wird kaum genutzt - nur 8 Prozent der Anwender arbeiten laut «BI Survey» regelmässig mit den Programmen. Das Analystenhaus Gartner stimmt mit dieser Kritik überein und schreibt den Herstellern ganz oben auf die Agenda, die Benutzerfreundlichkeit zu steigern. «Das etwa von Google und iTunes aufgespannte Interface-Paradigma sorgt dafür, dass auch BI-Tools künftig visueller und intuitiver zu bedienen sein werden», heisst es in der Marktanalyse von Gartner.
Während das Problem der geringen Benutzerfreundlichkeit von den Software-Lieferanten offenbar erkannt wird, tun sie sich mit echten Innovationen weiterhin schwer. Das halten ihnen auch die Schweizer Anwenderunternehmen vor. Eine eher durchschnittliche Bewertung von 3,0 gibt es für die Neuerungen bei Software-Applikationen - vor einem Jahr war es eine nur leicht bessere 3,3. Der Abfall ist auch darauf zurückzuführen, dass CIOs sich im abgelaufenen Krisenjahr auf das Sparen konzentrieren mussten. Für Innovation war kaum Zeit. Selbst wenn es bahnbrechende Entwicklungen gegeben hätte, waren sie nicht im Fokus. Denn wegen des Kostendrucks haben sich Firmen zunächst neu aufstellen müssen, um Innovationen einführen zu können, weiss Capgemini-Geschäftsführer Peter Lempp.

Nachfolger gefunden

Die Unternehmen setzen auch gar nicht deshalb auf Windows 7, weil die Software so innovativ ist. Sie suchen in erster Linie einen zuverlässigen Nachfolger für Windows XP, wie unsere «Swiss IT»-Studie bestätigt. Auch die weiteren Gründe sind eher pragmatischer Natur: Die Bedienerfreundlichkeit soll erhöht, die Produktivität gesteigert und die Komplexität reduziert werden - alles Themen, die sowohl CIOs als auch CEOs aus Krisenzeiten noch sehr vertraut sind. Eine Revolution durch Windows 7 erwartet niemand.
Entsprechend wenig bahnbrechend sind die Anforderungen, die Schweizer Anwender stellen. Dem Büroangestellten beim Bauunternehmen Implenia soll mit der besseren Suchfunktion und den frei konfigurierbaren Bibliotheken in Windows 7 die Recherche nach Informationen vereinfacht werden, erklärt etwa Systems Engineer Andy Galliker, der bei Implenia für die Windows-7-Migration verantwortlich ist. Der IT-Abteilung des Dietlikoner Baukonzerns gefällt auch die Windows-Technologie «AppLocker», mit der unerwünschte Software von den Clients ferngehalten werden kann, und der integrierte «BitLocker», der Computer und externen Datenträger verschlüsselt.
Eine grössere Baustelle betreut Dieter Reichert, Program Manager of Workplace Solutions des Pharmakonzerns F. Hoffmann-La Roche. Das Basler Unternehmen rollt Windows 7 bis Ende Jahr auf 5000 Clients aus und führt gleichzeitig Applikationsvirtualisierung ein. «Wir entkoppeln viele unserer Applikationen und führen auf den Clients nur ein Basis-Image aus. Das war vor Windows 7 nicht möglich», hebt Reichert hervor. Auf dem Basis-Client laufen nur Kernanwendungen wie Office 2007 und Internet Explorer 8, die übrige Software wird mit Virtualisierungstechnologie auf die Clients gestreamt. Als Hauptvorteile der Migration auf Windows 7 sieht Roche die höhere IT-Sicherheit und die einfachere Verwaltung der Client-Infrastruktur. Die Endanwender des Pharmakonzerns heben die höhere Systemleistung und die bessere Benutzerfreundlichkeit hervor.
Windows 7 belebt die Branche, das belegt der Sprung von Platz drei auf Platz eins in der Liste der wichtigsten Software-Themen der Schweizer Anwenderunternehmen deutlich. Das Betriebssystem birgt ausserdem das Potenzial, den schlechten Ruf der Hersteller zumindest ein wenig aufzupolieren: Innovation mit zum Beispiel Applikationsvirtualisierung, Nutzerfreundlichkeit durch eine treffsicherere Suche, einfache Dateiverwaltung und höhere Systemperformance. Auch wenn Windows 7 nicht Microsofts grösster Wurf ist, genügen doch die Verbesserungen im Kleinen, um die Anwender zu überzeugen. Das könnte ein Fingerzeig auch für andere Software-Hersteller sein.



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