28.07.2010, 11:49 Uhr

«Die Zeit der Quereinsteiger ist vorbei»

Computerworld spricht mit dem Schweizer IT-Kadervermittler Paul Brodmann über den hiesigen IT-Arbeitsmarkt, seine Besonderheiten und die Folgen der Krise.
Der Schweiz fehlen immer noch IT-Fachkräfte. Daran hat auch die Krise wenig geändert. Dies meint Paul Brodmann, Geschäftsführer der Zürcher IT-Personalberatung CBA Computer Brainware Advisors, im Computerworld-Interview. Computerworld: Der Fachkräftemangel in der Informatik wird immer wieder thematisiert. Wie akut ist die Situation aus Ihrer Sicht?
Paul Brodmann: Sie hat sich derzeit leicht entspannt. Durch die Wirtschaftskrise gibt es wieder mehr Leute auf dem ITArbeitsmarkt. Das dürfte aber nur von kurzer Dauer sein. Bald werden wieder mehr Informatikprojekte lanciert werden, dadurch wird sich auch der Mangel wieder verschärfen. Doch nicht nur die Krise hat kurzfristig für Linderung gesorgt, es gab auch eine beträchtliche Zuwanderung von Fachkräften aus dem deutschsprachigen Raum, namentlich aus Deutschland. Ohne diesen Zustrom wäre die Situation um einiges akuter. Wir hätten ein gröberes Problem in der Informatik, wenn es diese Zuwanderung nicht gäbe. Aber auch hier stossen wir an Grenzen: Die Schweiz ist ein ausgewiesenes KMULand. Bei diesen Unternehmen müssen die ITMitarbeiter, die eingestellt werden sollen, Deutschkenntnisse haben. Die Krise hat also bewirkt, dass wieder mehr qualifiziertes Personal auf dem Schweizer ITMarkt zur Verfügung steht?
Geringfügig, ja. Allerdings muss man auch sagen, dass diese Krise sich nicht so stark auf den Arbeitsmarkt ausgewirkt hat wie frühere Ereignisse. Dies hat unter anderem damit zu tun, dass die vorausgegangene Hausse in Sachen IT nicht allzu riesig ausgefallen ist. Das war zwischen 2002 und 2004 ganz anders. Die damalige Krise folgte auf den grössten Hype in der IT-Geschichte, bei der Web-Blase, Telekomliberalisierung und Behebung des Jahr-2000-Problems zusammentrafen. Sie betreuen ja auch die Salärumfrage des Branchenverbands SwissICT. Manifestiert sich die Krise bei den Löhnen?
Nicht gross. Wenn man den Mittelwert über mehrere Jahre betrachtet, also alle Berufsgruppen zusammenfasst, dann steigt das Durchschnittsgehalt nach wie vor.Meines Erachtens ist dies natürlich auch ein Hinweis darauf, dass die Nachfrage nach ITFachkräften hoch ist und hoch bleibt. Das heisst allerdings nicht, dass die Krise von niemandem Opfer verlangt. Besonders Informatiker, die überdurchschnittlich viel verdient haben, und denen gekündigt wurde, mussten am neuen Ort beträchtliche Lohneinbussen hinnehmen. Um solche Bewegungen aufzeigen zu können, haben wir die Kategorie Marktsalär eingeführt. Dabei werden die Anfangssaläre von ITMitarbeitern erfasst, die eine neue Stelle antreten. 2009 wurden so durchschnittlich 104'000 Franken pro Jahr verdient, 2008 betrugen die Anfangssaläre noch durchschnittlich 107'000 Franken. Dieser Rückgang ist aber nicht massiv. Insgesamt ist in der selben Periode sogar ein Wachstum zu verzeichnen - von 112'000 auf 115'000 Franken. Weiter gehts auf der nächsten Seite. In den USA geht man davon aus, dass viele IT-Leute kündigen werden, sobald sich die wirtschaftliche Situation wieder erholt. Als ein Grund werden dort Lohnkürzungen ins Feld geführt. Kann man also hierzulande davon ausgehen, dass die Fachkräfte bleiben und nicht in Scharen kündigen werden?
Wegen des Salärs sicher nicht. Aber es gibt ja auch noch weitere Faktoren, die zu Unzufriedenheit führen. Vielerorts wurde, um Kosten zu sparen, Personal reduziert. Das heisst, weniger Leute mussten das gleiche Arbeitspensum erledigen. Es ist nun durchaus vorstellbar, dass solche Informatiker unzufrieden sind, und sobald sich die Sitation entspannt, ihrem Arbeitgeber den Rücken kehren und kündigen. Massiv wird diese «Welle» aber nicht ausfallen. Wo sehen Sie in Zukunft besonderen Bedarf an IT-Personal?
Interessant ist, dass auch in der Software-Entwicklung nach wie vor eine grosse Nachfrage nach Fachkräften besteht, obwohl die reine Programmierung noch am ehesten ausgelagert werden kann, etwa in Länder wie Indien und China. Woran liegt das?
Ich vermute, das ist ein typisches Schweizer Phänomen. Hier gibt es sehr viele kleine Software-Schmieden, die sehr spezialisierte Programme herstellen und diese Nischenprodukte auch ständig weiterentwickeln. Gibt es noch weitere Bereiche, die florieren?
Ja, neben der Software-Entwicklung ist sicherlich Service, Support, Systemadministration und System-Engineering zu nennen. Hier sind vor allem Fachleute gefragt, die gute, vertiefte Windows-Kenntnisse aufweisen. Aber auch Linux-Spezialisten werden vermehrt gesucht. Allerdings müssen diese mit Vorteil auch über Windows Bescheid wissen. Reine Linux-Cracks sind weniger gefragt. Im Grunde genommen wird alles gesucht. So etwa Datenbankentwickler und -administratoren. Auch SAP-Entwickler und -Implementierer haben keine Probleme, Stellen zu finden. Lesen Sie mehr auf der nächsten Seite.
Sie strafen somit jene Lügen, die behaupten, IT werde zur Commodity und könne problemlos outgesourced werden?
Längerfristig existiert durchaus der Trend, immer mehr IT-Tätigkeiten in Billiglohnländer auszulagern. Schliesslich werden auch die technischen Möglichkeiten für eine effiziente Zusammenarbeit immer besser. Aber in der Schweiz wird der Bedarf an Informatik überproportional zunehmen und alle Bereiche der Arbeitswelt durchdringen. Obwohl also mit immer weniger, immer mehr realisiert werden kann, braucht unsere Arbeitswelt in nächster Zeit so viel Informatik, dass eine gewisse Jobsicherheit gegeben ist. Meiner Meinung nach wird dieser Trend noch die nächsten 10 bis 20 Jahre anhalten. Ob dies in 50 Jahren noch so sein wird? So weit möchte ich mich nicht vorwagen. Welche Positionen sind derzeit am schwierigsten zu vermitteln, und bei welchen haben Sie kaum Probleme?
Einfach ausgedrückt: Spezialisten sind immer gefragt. Dagegen haben es Generalisten schwerer, einen Job zu finden. Konkret werden derzeit besonders .Net und WindowsServerSpezialisten gesucht. Aber auch Generalisten haben eine Chance, etwa im Bereich Business Engineering und Organisation. In der Systemadministration und im Support werden hauptsächlich Fachkräfte gesucht, die eine Informatikerlehre abgeschlossen haben und ein paar Jahre Berufserfahrung aufweisen können sowie vertiefte Kenntnisse in Windows-Server, Linux und VMware haben. Das sind dann nicht die absoluten TopSpezialisten, aber sie haben eine solide Grundausbildung und Erfahrung. Mitarbeiter, die nur oberflächliche Kenntnisse aufweisen können, sind dagegen schwieriger zu vermitteln. Ein Studium ist somit nicht mehr so gefragt?
Das ist keineswegs so. Vor allem im Bereich SoftwareEntwicklung und auch beim System-Engineering wird oft verlangt, dass die Kandidaten ein Studium an einer Hochschule oder an einer Fachhochschule abgeschlossen haben. Weiter gehts auf der nächsten Seite. Was halten Sie von der IT-Berufsbildungsinitiative, die vor Kurzem von ICTswitzerland lanciert wurde und die mehr Informatikerlehrstellen schaffen will?
Ich finde das eine ausserordentlich gute Sache. Denn ich sehe, wie sehr Fachleute mit einer Informatikerlehre gesucht werden, vor allem im Bereich Systemtechik, Administration und Support. Die dort anvisierten zusätzlichen Informatiker sind sehr gefragt, nicht zuletzt, da seit Jahren ITFachkräfte in Pension gehen, ohne dass sie durch genügend Nachwuchs ersetzt werden. Was gehört Ihrer Meinung nach in den Schulsack eines ITLeiters, eines CIO und ITMitarbeiters? Wie wichtig ist heute das technische Fundament? Müssten nicht auch Managementfähigkeiten stärker berücksichtigt werden?
Es kommt ein bisschen auf die Grösse der IT-Abteilung an. Je grösser diese ist, desto mehr wird der Job des ITLeiters zur reinen Managementaufgabe. Allerdings sind die entsprechenden Fähigkeiten nicht immer lernbar, hier kommt auch Talent ins Spiel. Man muss sowohl mit dem einfachen User als auch mit dem Top-Management gut kommunizieren können.
Meiner Meinung nach wird heute bei der Rekrutierung vermehrt darauf geachtet, ob ein Bewerber diese Fähigkeiten aufweist. Trotzdem muss er aber einen technischen Background besitzen und die technischen Zusammenhänge verstehen. Also gehört in den Schulsack eines idealen CIO ein Informatikstudium, zehn Jahre Erfahrung im technischen Bereich sowie eine Zusatzausbildung im Management. Idealerweise hat er sich auch noch in den Bereichen Betriebswirtschaft und Führung weitergebildet und zum Beispiel einen MBA in der Tasche. Müssten die Firmen nicht auch ein wenig bescheidener werden und wieder vermehrt Quereinsteigern eine Chance geben?
Ich finde, die Firmen sollten eher dafür sorgen, dass mehr Informatiklehrlinge eingestellt und ausgebildet werden. Die Akzeptanz gegenüber Quereinsteigern sinkt nämlich zunehmend. Erstaunlich, schliesslich gab es vor wenigen Jahren viele Quereinsteiger.
Stimmt, früher waren die meisten Informatiker Quereinstieger. Dies aber nur, weil es früher weniger Möglichkeiten gab, diesen Beruf zu erlernen. Heute wird aber mit der Informatiklehre eine gute, fundierte Ausbildung angeboten. Zudem gibt es inzwischen viele Weiterbildungsmöglichkeiten in der IT mit Fachausweis, eidgenössischem Diplom, Bachelor- und Master-Abschluss. Das Informatikausbildungsprogramm ist viel breiter geworden.



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