30.03.2010, 06:00 Uhr

Weg von der Insel

Bevor Unified Communications Geld abwirft, müssen Firmenchefs, CIOs und Mitarbeiter einige Hürden überwinden. Diese sind oft gar nicht technischer Natur, sondern sitzen in den Köpfen der Entscheider.
Die jüngste Wirtschaftskrise bedeutet nicht nur weniger Geld in den Kassen der Unternehmen, sondern offenbar auch Veränderungen bei den Arbeitsbedingungen. In den rezessionsgebeutelten Firmen leidet auch die Kommunikation zwischen Kollegen, Kunden und Partnern. Eine Umfrage des Schweizer UC-Spezialisten Avaya ergab, dass Firmen, die vom Abschwung unberührt geblieben sind, auch keine Kommunikationsdefizite zu verzeichnen haben. Das heisst im Umkehrschluss: Wer eine intakte Kommunikation besitzt, ist vor wirtschaftlichen Talfahrten besser gefeit. Eine auf den ersten Blick logische Erkenntnis. Denn durch internen Austausch, regen Kundenkontakt sowie eine funktionierende Kommunikation mit Zulieferern bleiben Firmen wie Mitarbeiter im Wettbewerb flexibel und schlagkräftig.
Zwar haben die Unternehmen die Bedeutung der Kommunikation für den Geschäftserfolg erkannt und steuern dagegen: Instant Messaging und Smartphones gehört mittlerweile in jeder zweiten Firma zum Tagesgeschäft. Trotzdem bleiben die Mitarbeiter eine Insel, denn die diversen Kanäle Festnetz, Firmen-Handy, Fax, E-Mail, Messenger oder Video laufen parallel und sind nicht integriert. Auch stehen sie abseits von Geschäftsanwendungen wie CRM oder ERP. Eine einfache Abstimmung mit dem Zulieferer erfordert immer noch Dutzende Arbeitsschritte. Dem ungestörten Kommunikationsfluss stehen in Schweizer Unternehmen noch einige Hindernisse im Weg.

Nutzen kontra Kosten

Der Bedarf an einer Unified-Communications-Lösung (UC) ist den Unternehmen bewusst. Den durchschnittlichen Mitarbeiter erreichen täglich ca. 100 Nachrichten. «Dabei geht jeder zweite Versuch, einen Projektmitarbeiter zu erreichen, ins Leere. 20 Prozent aller Projekte werden wegen schlechter Erreichbarkeit verzögert», konstatiert etwa Jürg Scheidegger, Managing Partner beim Berner Beratungsunternehmen ideeX. Die Geschäftsleitung müsste allein schon aus Kostengründen in eine preisgünstige, weil gebührenneutrale VoIP-Technik investieren, zumal das Kommunikationsvolumen fortwährend steigt. Scheidegger nennt hier Wachstumsraten von bis zu 70 Prozent. Dem Berner Berater zufolge plant in der Schweiz jedoch lediglich jedes zehnte Unternehmen die Einführung von Unified Communications.
Ein Grund mögen die aus Sicht des Business hohen Anschaffungskosten sein. Anbieter von UC-Lösungen steuern mit Beispielrechnungen dagegen. Swisscom bietet etwa das Onlinetool «Kommunikatometer» (siehe Abbildung) an, mit dem Unternehmen jährliche Einsparungen von Zeit, Kosten und Klimabelastung bei der Nutzung von Telekommunikationsdiensten berechnen können. Ein solches «ROI-Tool», mit dem sich der Nutzen einer UC-Lösung monetär quantifizieren und bewerten lässt, kritisiert Wolfram Funk vom Analystenhaus Experton jedoch als «zu statisch und pauschal». Funk gibt zu bedenken: «Weiche Faktoren wie Effizienz- und Qualitätsaspekte lassen sich in der Kommunikation nur schwer monetär bewerten.» Stattdessen schlägt Experton ein «UCC Scorecard Modell» vor, das neben den reinen Kosteneinsparungen auch Zielsetzungen berücksichtigt, die zum Geschäftserfolg des Unternehmens beitragen.
Um mit UC langfristig Geld zu sparen, plädieren Anbieter wie Alcatel-Lucent, Avaya, Cisco, IBM, Microsoft und Siemens für Komplettlösungen - nicht verwunderlich, denn alle sechs Unternehmen haben passende Pakete im Portfolio. Die Grundlage ist dabei immer IP-Technik, für den Geschäftsleiter des IT-Dienstleisters und UC-Spezialisten Grouptec, Konrad Broggi, die zentrale Technik für künftige Telekommunikations-lösungen, «unabhängig von der Frage, ob eine herkömmliche Telefonanlage oder ein IP-Produkt im Mittelpunkt der Lösung steht».

UC ist keine Hauswartaufgabe

Damit die Integration von Sprache und Daten innerhalb und über Firmengrenzen hinweg Wirklichkeit wird, ist auch ein Umdenken bei den Prozessen erforderlich. Denn das Einführen von UC ist nicht gleichbedeutend mit der Ablösung der Telefonanlage - auch wenn dies häufig der Auslöser ist. Wie beim Textilkonzern Itema: «Wir sind in einen Neubau umgezogen, in dem keine Telefoninfrastruktur vorhanden war», erinnert sich CIO Marco Vögeli. Die Einführung von UC lief als Parallelprojekt neben dem Umzug. Vögeli und ein IT-Kollege begleiteten die Installation durch den IT-Dienstleister Grouptec. Innert sechs Wochen waren die 90 Büroarbeitsplätze mit IP-Telefonie versorgt und die UC-Funktionen in die SharePoint-Plattform eingebunden.
Allerdings können nur wenige Firmen auf der grünen Wiese starten. Fast immer ist schon eine Infrastruktur vorhanden. Die Telefonanlage gehört dann wie Strom und Wasser zu den Aufgaben des Facility-managements. Auch deren Modernisierung wird dann quasi vom Hauswart verantwortet, bestenfalls von der IT-Abteilung. Bei Ausschreibungen wird nicht selten auf Vorlagen aus vergangenen Jahren zurückgegriffen. Dann ist die Chance vertan, mit UC das Geschäft zu fördern. Da aber UC die Produktivität erhöhen kann, weil die Mitarbeitenden etwa durch bessere Erreichbarkeit mehr Aufträge gewinnen, muss die Einführung Aufgabe der Geschäftsleitung sein.
Selbst wenn diese den Mehrwert von UC erkennt, ist der Erfolg noch lange nicht garantiert. Für die Einführung braucht es nach Auffassung von Microsofts UC-Spezialist Hans-Rudolf Vogt eine langfristige Strategie. «Bei reinen IP-Telefonieplattformen, die nicht von vornherein mit dem Fokus auf UC entwickelt wurden, müssen UC-Funktionalitäten nach und nach angestückelt werden - mit allen Konsequenzen wie Inkompatibilitäten, höheren Kosten und geringerer Zuverlässigkeit.» Und es braucht Mitarbeiter, die mitziehen: «Die Einführung von UC ist nur dann erfolgreich, wenn die Anwender es nutzen. Allerdings kann man den Bedarf nach UC nicht abfragen, wenn die Benutzer die Möglichkeiten nicht kennen», meint Vogt. Er empfiehlt, eine Pilotlösung von unterschiedlichen Benutzergruppen testen zu lassen. Sind diese Szenarien erfolgreich, kann der Rollout beginnen.



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