10.12.2008, 14:07 Uhr

Stolpersteine beim Offshoring

Die Verlagerung ins Ausland erlaubt es Unternehmen, grosse Sprünge in der Software-Entwicklung zu machen - wenn sie nicht schon beim Anlauf stolpern.
Auf IT-Dienstleitung spezialisierte Offshoring-Länder wie Indien locken mit einem riesigen Angebot an Fachkräften zu vergleichsweise günstigen Stundenansätzen. Für Unternehmen, die wegen des Fachkräftemangels an ihre Wachstumsgrenzen stossen oder Kosten einsparen müssen, ist die Verlockung gross. Das Offshoring wird daher von immer mehr Schweizer Unternehmen als Alternative genutzt. Finnova, einer der zwei grossen Anbieter von Bankenlösungen in der Schweiz, kooperiert beispielsweise mit Polaris, einem indischen Offshore-Dienstleister. Von den tiefen Löhnen in Osteuropa und Fernost versprechen sich Schweizer Firmen Einsparungen von bis zu 60 Prozent.

Hinsichtlich der durchschnittlichen Stundensätze ist diese Erwartung auch realistisch: Gerhard Krug, Geschäftsführer des Koblenzer Projektmanagement-Spezialisten Afinion, nennt für Offshore-Entwickler Beträge zwischen umgerechnet 18 und 42 Franken pro Stunde. Ein festangestellter Mitarbeiter in der Schweiz kommt auf circa 130 Franken. Wird aber der Mehraufwand für Projektsteuerung, Qualitätssicherung usw. einkalkuliert, reduzieren sich die Kosten bei der Software-Entwicklung nur um rund 15 Prozent, beim Software-Unterhalt um etwa 25 Prozent.
Zusätzlich zu den niedrigeren Lohnkosten profitieren Schweizer Kunden aber auch von den Kontakten und Erfahrungen der Offshore-Dienstleister. Die grossen der Branche arbeiten oft eng mit führenden Software-Unternehmen wie Microsoft, Oracle oder SAP zusammen. Über diesen Kanal erhalten die Schweizer Kunden verlässliche Informationen über zukünftige Software, unnötige Entwicklungsprojekte können so verhindert werden. Dank ihrer guten Kontakte sind Offshore-Provider auch in der Lage, Best-Practice-Strategien zu identifizieren. Als Aussenstehender hat der Dienstleister einen ganz anderen Blick auf eingeschleifte, eventuell ineffiziente Geschäftsprozesse in der Unternehmens-IT vor Ort.

Verborgene Offshore-Kosten

Den offensichtlichen finanziellen Einsparungen und den versteckten Profiten von Offshoring-Dienstleistungen stehen aber auch tatsächliche sowie immaterielle Kosten gegenüber. So berichten Brancheninsider, dass ein Unternehmen für einen Arbeitsplatz hierzulande zwei bis drei indische Arbeitsplätze braucht. Hinzu kommen weitere Aufwendungen, zum Beispiel ein intensives Projektmanagement, detaillierte Spezifikation der Aufgaben, doppeltes Testen (einmal offshore, einmal lokal), der administrative Mehraufwand sowie einmalige Investitionen, etwa das Übersetzen von Prozessbeschrieben. Es kann also nur ein Teil des Projekts im Offshore-Land abgewickelt werden. Vor Ort in der Schweiz sind diejenigen Arbeiten zu erledigen, die eine enge Zusammenarbeit mit dem Benutzer erfordern.
Das Resultat dieser Kosten- und Nutzenrechnung wird von Unternehmung zu Unternehmung unterschiedlich ausfallen. Ein wichtiger Kalkulationsfaktor ist das jährliche Auftragsvolumen, denn ein grösseres Volumen lässt mehr Verhandlungsspielraum zu Gunsten des Auftraggebers zu - gleich, ob offshore oder onshore entwickelt wird. So ist Offshoring dann teurer, wenn die Einmalinvestitionen, etwa für das Ergänzen von Prozessbeschrieben, sehr hoch sind oder das Projektmanagement einen grossen Kostenanteil am Gesamtprojekt hat. Die Kosten rechnen sich nur, wenn der Auftrag eine gewisse Grösse hat.

Hoher Koordinationsaufwand

Wenn in Projekte Personen aus unterschiedlichen Kulturen und Sprachräumen involviert sind, führt dies oftmals zu Missverständnissen, die den Koordinationsaufwand erhöhen. Der Projektverantwortliche darf aber nicht alle Schwierigkeiten auf die kulturellen Unterschiede schieben. Wie man Mitarbeiter tadelt und motiviert, mag je nach Kultur anders sein. Ob Mitarbeitende gut oder schlecht arbeiten, wird jedoch nicht durch ihre Kultur bestimmt. Mitarbeiter müssen im Umgang mit anderen Kulturen geschult werden. (mehr S. 34). Für englischsprachige Prozessbeschriebe, Projektmanagement oder die Vertragsverhandlungen sind sehr gute Englischkenntnisse nötig. Ein grosses Plus für Lieferanten aus Osteuropa: Sie verfügen oftmals über Deutschkenntnisse.
Nebst den kulturellen Herausforderungen ist der organisatorische Aufwand zu kalkulieren. Führende asiatische Offshoring-Provider sind zu einem hohen Grad institutionalisiert, was sich in einer hohen Reifegradzertifizierung (Capability Maturity Model Integration Level 5, kurz CMMI) widerspiegelt. Die eigene Unternehmung muss organisatorisch bereit sein, mit solchen Providern zusammenzuarbeiten. Daneben müssen alle ins Outsourcing involvierten Prozesse exakt - auch für Nicht-Fachleute verständlich - beschrieben sein. Das spontane Abklären von Detailfragen quasi auf dem kurzen Dienstweg ist nicht möglich.

Widerstände im Unternehmen

Interne und externe Stakeholder müssen in die Offshoring-Entscheidung einbezogen werden. Die Frage lautet: Lassen sich allfällige Vorbehalte aus dem Weg räumen oder muss auf Offshoring verzichtet werden? Frühzeitige und umfassende Kommunikation mit den Interessensgruppen ist hier gefragt. Droht durch Offshoring negative Publicity - verbunden mit wirtschaftlichen Einbussen - sollte davon abgesehen werden.
Schliesslich gibt es nicht-rationale, persönliche Vorlieben oder Abneigungen bei den Entscheidungsträgern. Dazu zählen etwa Vorurteile gegenüber bestimmten Nationen und Erfahrungen, die Manager mit Unternehmen aus den betreffenden Nationen gemacht haben. Ist die Entscheidung für Offshoring gefallen, muss ein passendes Unternehmen bzw. Konzept (siehe Tabelle oben) gewählt werden.
Zum Autor: Martin Nellen ist BSc (Bachelor of Science) in International Management an der Fachhochschule Nordwestschweiz. Er schrieb seine Thesis bei Prof. Dr. Axel Keller über Offshoring von Software-Entwicklung



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