«Wir bringen das Digitale auf die Politbühne»

Die Sache mit dem E-Voting

CW: Bei der E-ID ist man vorangekommen. Anders beim E-Voting. Herr Grüter, Sie haben sich gegen den Ansatz von Post und Bundeskanzlei ausgesprochen. Was stört Sie als IT-affiner Wirtschaftspolitiker am E-Voting?
Grüter: Ich bin nicht a priori gegen das E-Voting. Im Gegenteil: Ich hoffe sogar, dass wir irgendwann elektronisch abstimmen können. Aber wir dringen hier in einen sensi­blen Bereich vor. Denn es geht um die Wahlen und Abstimmungen in einem Land mit direkter Demokratie. Wir sollten wirklich sehr vorsichtig sein und darauf achten, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Auszählung von Wahlen und Abstimmungen als oberste Maxime weiter gilt. Mit dem jetzigen Setup ist die Zeit nicht reif für das E-Voting.
CW: Welche Probleme hat das E-Voting-System heute?
Grüter: Wir müssen höchste Anforderungen an die Technologie stellen. Die Bundeskanzlei will jedoch ein System einer spanischen Firma einführen, mit dem Spanien an den Europawahlen ein Debakel erlebt hat. Es wurden Stimmen falsch ausgezählt! In den Tests, welche die Post bei uns durchführen liess, stellten renommierte Experten fest, dass man Stimmen manipulieren könnte, ohne dass es auffällt. Aufgrund dieser Erkenntnisse durfte das System an der letzten Abstimmung nicht mehr eingesetzt werden. Ich hoffe, dass die Bundeskanzlei nun zu der Erkenntnis gelangt, dass sich etwas ändern muss. Ich selbst bin noch am Sammeln von Unterschriften für eine Volksinitiative. Ich hoffe aber, dass die Verwaltung von sich aus zum Schluss kommt, dass sie nachkorrigieren muss.
CW: Welche Initiative haben Sie geplant?
Grüter: Wir fordern ein Moratorium für das E-Voting für fünf Jahre. Anschliessend kann man es wieder einführen. Natürlich nur unter der Voraussetzung, dass bestimmte Bedingungen an die IT-Sicherheit erfüllt sind. Hierfür orien­tieren wir uns an anderen Ländern, wie etwa Deutschland, wo verschiedene Kriterien bereits vordefiniert wurden.
“Die Situation bietet eine Chance für den Neustart beim E-Voting„
Matthias Stürmer
CW: Inwieweit könnte Open Source zur Lösung beitragen, um aus der jetzigen Sackgasse herauszufinden?
Graf-Litscher: Die demokratische Glaubwürdigkeit darf nicht aufs Spiel gesetzt werden. Man muss die vorhan­denen Schwachstellen vertieft ansehen. Mit Kosmetik ist es nicht getan. An unserem ersten Anlass zum Thema E-Voting haben wir die Anforderungen definiert. Die Technologie muss sicher sein und der Quellcode offenliegen.
Stürmer: Die momentane Situation bietet eine gute Gelegenheit für einen Neustart. Wir können etwa auf dem offenen Quellcode aus dem Kanton Genf aufbauen.
Grüter: Nun kommt es auf den nächsten Schritt der Bundeskanzlei an. Wenn es einen kompletten Neuanfang geben sollte und man alles nochmal auf den Prüfstand stellt, dann müssen auch wir Gegner nochmal über die Bücher. Leider habe ich die Befürchtung, dass es mit dem aktuellen Zulieferer weitergehen wird.
CW: Parldigi bearbeitet mittlerweile zahlreiche Initiativen. Welche Bedeutung hat da eines der ursprüng­lichen Kernthemen, Open Data, für Ihre Gruppe?
Stürmer: Wir haben Open Data vor acht Jahren auf unsere Agenda gesetzt und mit viel Energie vorangetrieben. Als Ergebnis durften wir mit der Annahme einiger unserer Vorstösse erste politische Erfolge feiern. Aufgrund eines Postulats von Christian Wasserfallen gab es einen Bericht und einen Masterplan für Open Government Data. Später griff der Bundesrat das Thema auf und entwickelte eine Strategie, die letztes Jahr erneuert wurde. Die Daten werden online angeboten, wo sie von Anwendern heruntergeladen und kommerziell sowie nicht kommerziell genutzt werden können.
Graf-Litscher: Und jetzt wollen wir eine gesetzliche Grundlage zur flächendeckenden Einführung von Open Data!
“Wir wollen ein Gesetz zu Open Government Data„
Edith Graf-Litscher
CW: Sie haben hierzu Ende Mai eine Motion eingereicht. Worum geht es dabei genau, worauf zielen Sie ab?
Graf-Litscher: Der Bundesrat hat die Open Government Data Strategie verabschiedet und unterstützt darin im Kern unsere Anliegen. Allerdings will der Bundesrat selbst entscheiden, ob und in welcher Form eine gesetzliche Grundlage nötig ist. Hier werden wir dranbleiben. Denn durch Open Government Data eröffnen sich gewaltige Chancen für die Volkswirtschaft. Zudem brauchen auch die Mitarbeitenden eine gesetzliche Rückendeckung bei der Anwendung von Open Government Data.
CW: Aber wir verlieren ja auch Geld, wenn wir über Steuern finanzierte Daten allen gratis zugänglich machen, oder nicht?
Graf-Litscher: Man hat lange von finanziellen Ausfällen gesprochen. Vorausgesetzt, man betrachtet die verwaltungsinterne Verrechnung nicht, läge der Verlust aus den entfallenen Einnahmen von externen Nutzern im einstelligen Millionenbereich. Auf der Haben-Seite fördert Open Data auch das Vertrauen in den Staat. Wenn ich verlässliche Daten will, dann greife ich zu denen staatlicher Anbieter wie z.B. Swisstopo oder MeteoSchweiz. Mit beiden arbeiten wir übrigens sehr gut zusammen. Sie sind daran interessiert, dass Dritte mit ihren Daten arbeiten.
Grüter: Hier braucht es noch ein Umdenken. So, wie die Daten bisher kommerzialisiert wurden, generierte der Bund Einnahmen, etwa in den Bereichen Topografie und Meteorologie. Jetzt herrscht eine neue Philosophie vor, wonach man Daten allgemein offen zur Verfügung stellen möchte. Das ist ein Paradigmenwechsel, der noch Zeit benötigt. Wir versuchen, Open Data Schritt um Schritt voranzubringen.
CW: Im Herbst stehen wieder Wahlen an. Was erhoffen Sie sich für Parldigi?
Stürmer: Wir sind eine dynamische Truppe. Unsere parteipolitische Zusammenarbeit ist sicher ein Teil unseres Erfolgs. Auch wenn es unterschiedliche Meinungen gibt, findet man zusammen und entwickelt gemeinsam Lösungen, die am Ende alle weiterbringen und auf diese Weise den Menschen in der Schweiz etwas bringen. Wie es weitergeht, wird natürlich zum Teil auch von den Wahlen im kommenden Herbst abhängen. Wir hoffen, dass alle Parldigi-Mitglieder wiedergewählt werden.
Parldigi
Die Parlamentarische Gruppe Digitale Nachhaltigkeit
wurde 2009 von Geschäftsführer Matthias Stürmer gegründet und setzt sich für den digital nachhaltigen Umgang mit Wissensgütern ein. Hierfür reicht Parldigi parlamentarische Vorstösse ein, veranstaltet Dinner-Anlässe sowie Open Hearings. Schwerpunkte sind IT-Beschaffung, Open Government Data, Open Access, aber auch brandaktuelle Themen wie 5G, E-Voting oder Blockchain. Parldigi gehören nach eige­nen Angaben über 50 Politikerinnen und Politiker aus National- und Ständerat an aus allen Parteien. Das breite politische Spektrum ist eine der zentralen Stärken von Parldigi, wie Co-Präsidentin und SP-Nationalrätin Edith Graf-Litscher und ihr Amtskollege und SVP-Nationalrat Franz Grüter betonen.



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