«Wir bringen das Digitale auf die Politbühne»

Hot Topics bei Parldigi

CW: Welche Hot Topics haben Sie im Fokus und wie unterscheidet sich Parldigi hier von anderen Akteuren?
Grüter: Digitalisierung ist zu einem gesellschaftlichen Thema geworden. Die Gruppe für digitale Nachhaltigkeit reflektiert das. Wir sind kein verlängerter Arm der IT-Industrie, auch wenn ich als Verwaltungsratspräsident für ein IT-Unternehmen mitverantwortlich bin. Wir diskutieren kontrovers Themen, welche die Gesellschaft im digitalen Bereich betreffen. Wir beleuchten Risiken und zeigen Chancen auf wie etwa beim E-Voting oder bei der 5G-Technik.
CW: Die 5G-Technik wird heiss diskutiert. Einerseits wünscht man sich den Breitbandausbau, andererseits gibt es zum Teil starke Vorbehalte gegen den nächsten Entwicklungsschritt in der Mobilfunktechnik. Von privater Seite wurden Petitionen eingereicht; die Kantone Genf und Jura blockieren vorerst den Aufbau respektive die Aufrüstung von Antennen mit der 5G-Technik. Wie wollen Sie die Skeptiker von der Notwendigkeit und den Chancen des neuen Mobilfunkstandards überzeugen?
Grüter: Es wird uns nicht gelingen, die Gegner von 5G für uns zu gewinnen. Das ist auch nicht unser Ziel. Wir sind davon überzeugt, dass der nationale Breitbandausbau weiter vonstattengeht.
Franz Grüter setzt sich seit 2015 als Nationalrat im Parlament für die Anliegen der IT-Wirtschaft ein. Grüter engagiert sich als Co-Präsident von Parldigi und Vizepräsident des IT-Dachverbands ICTswitzerland
Quelle: Werner Rolli
CW: Woher nehmen Sie Ihre Überzeugung?
Grüter: Zu einem gut funktionierenden Land gehören für mich mehr als Eisenbahnen, Strassen und die Energie­versorgung, sondern auch die Telekominfrastruktur. Sie ist ein Erfolgsfaktor eines Landes. Mit Blick auf die Nachhaltigkeit und weil es die gesamte Gesellschaft betrifft, muss man unbedingt auch die andere Seite anhören. Die Diskussion um 5G ist aber emotional aufgeladen und schlägt entsprechend hohe Wellen. Weil es die Menschen so stark beschäftigt, haben wir das auch auf unsere Agenda gesetzt.
Graf-Litscher: Es ist wichtig, dass wir die Bedenken der Bevölkerung und den Schutz der Gesundheit ernst nehmen. Gleichzeitig gilt es, die Weichen für die digitale Infrastruktur in der Schweiz nicht aufs Abstellgleis zu stellen. Dazu ist es wichtig aufzuzeigen, was 5G wirklich ist und dass die Fakten bekannt sind. Mir ist es daher ein persönliches Anliegen, dass wir die Debatte versachlichen. Im Moment wird man nach einer Meinungsäusserung unmittelbar dem Lager der IT-Turbos oder der Gesundheitsfundis zugeteilt. Im Herbst sollten die Resultate der vom Bundesrat ein­gesetzten Arbeitsgruppe «Mobilfunk und Strahlung» sowie die geplante Einführung eines Monitorings für nicht ionisierende Strahlung, mit dem repräsentative Daten gesammelt werden sollen, vorliegen. Die Gruppe hat den Auftrag, die Bedürfnisse und Risiken beim Aufbau von 5G-Netzen zu analysieren und einen Bericht mit Empfehlungen zu verfassen.
“Wir müssen die Debatte um 5G versachlichen„
Edith Graf-Litscher
CW: Wie sehen Ihre Vorschläge aus?
Stürmer: Im September planen wir ein Open Hearing zu 5G. Wir wollen aufzeigen, welchen volkswirtschaftlichen Nutzen wir erwarten und welche gesundheitlichen Bedenken existieren. Dann werden wir sehen, wer am Ende die besseren Argumente bietet. Auf diese Weise wollen wir die Leute überzeugen, die Fakten auf den Tisch zu legen.
Graf-Litscher: Das sind wir der Bevölkerung schuldig, dass wir eine offene und sachlich-fundierte Debatte führen. Ich erwarte auch, dass das Bundesamt für Gesundheit (BAG) und der Ärzteverband (FMH) hinstehen und sich in der Debatte äussern. Hier ist auch die ICT-Branche gefragt. Sie muss anhand konkreter Beispiele die Möglichkeiten aufzeigen, die sich durch 5G ergeben und welchen volkswirtschaftlichen Nutzen die mobile Breitbandtechnik bringt. Hier passiert leider noch zu wenig. Vielmehr vertritt man noch die simple Position: Man braucht 5G. Aber die Menschen erwarten hier Antworten auf die Frage, weshalb wir 5G grundsätzlich benötigen.
Stürmer: Viele Anwender können mit 4G ihre Bedürfnisse befriedigen. Dadurch haben sie den Eindruck, dass es gar nicht mehr Leistung braucht, denn es läuft ja alles. Aber gerade bei Infrastrukturprojekten ist es wichtig, frühzeitig den Ausbau anzupacken. Hätten wir nicht schon vor rund 20 Jahren in 2G, 3G und zuletzt in 4G investiert, wären wir nicht so weit wie heute. Wenn wir in fünf bis zehn Jahren noch eine volkswirtschaftlich kompetitive Infrastruktur haben wollen, müssen wir heute investieren.
CW: Die Schweiz gilt als Pionierin beim 5G-Ausbau. Inwieweit drohen wir, den Anschluss zu verpassen und Nachzügler zu werden beim Breitbandausbau?
Grüter: Im internationalen Vergleich hat die Schweiz ein hervorragend ausgebautes Breitbandnetz. Sowohl im leitungsgebundenen Festnetz, wo es mit dem Glasfaserausbau auch noch einige Herausforderungen zu lösen gilt, als auch im Mobilfunk, wo wir ebenfalls gut dastehen. Aber es ist ein Wettbewerb! Wenn wir 5G jetzt nicht einführen, dann werden wir unseren heutigen Vorsprung in drei bis fünf Jahren eingebüsst haben. Das wäre für unser Land als attraktiver Standort schlecht.
Graf-Litscher: Ich habe den Eindruck, 5G ist für viele der Blitzableiter für die digitale Entwicklung. Sie sehen, dass es durch die Digitalisierung Veränderungen etwa am Arbeitsplatz gibt. Jetzt soll auch noch 5G dazukommen. Das ist manchen schlicht zu viel. Deshalb sagen sie: Jetzt ist Schluss. Mit 5G haben sie etwas Konkretes, wogegen sie protestieren können.
CW: Geht vielen Leuten die Digitalisierung einfach zu schnell und sind sie der Digitalisierung müde?
Graf-Litscher: Ich stelle fest, dass insbesondere ältere Arbeitnehmende verunsichert sind, etwa im Versicherungs- und Bankensektor, wo es starke Umwälzungen gibt. Und wenn dann noch Menschen ihre Jobs verlieren, löst das Ängste aus. Hier müssen wir dringend Lösungen finden, etwa in Form von Weiterbildungen und der Anstellung von Personen über 50 Jahren. Die Menschen müssen spüren: Ich bin ein wertvoller Mensch und es gibt auch weitere spannende Aufgaben für mich. Sie wollen arbeiten und nicht aufs Abstellgleis geschoben werden. Das müssen wir angehen.
Grüter: Im digitalen Bereich haben wir eine kontroverse Situation. Es gibt einen gewaltigen Bedarf an Fachkräften. Die Schweizer IT-Industrie beschäftigt total rund 200'000 Menschen, von denen zwei Drittel bei Banken, Versicherungen, Verwaltungen und in anderen Branchen beschäftigt sind. Zugleich ist die Digitalindustrie gewachsen. Sie ist heute der sechstgrösste industrielle Sektor der Schweizer Wirtschaft und generiert über 27 Milliarden Franken an Wertschöpfung pro Jahr. Das ist alles erfreulich. Doch wenn man sich den Arbeitsmarkt ansieht, zeigt sich, dass wir eine grosse Arbeitslosigkeit älterer Arbeitnehmer haben.
CW: Wie erklären Sie sich das und wie engagiert sich Parldigi im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit?
Grüter: Ein Grund ist historisch bedingt. Viele Firmen in der Branche entstanden Mitte der 1990er-Jahre. Sie haben damals Leute geholt, die zwar IT-Kenntnisse hatten, aber keine Diplome mitbrachten. Es gab ja auch noch keine IT-Ausbildungen, wie wir sie heute haben. Diese Leute haben ein Problem. Hierfür habe ich vor vier Jahren die Schweizerische Stiftung für Arbeit und Weiterbildung ins Leben gerufen, über die wir bis heute 500 Fachkräfte vermitteln konnten. Oft sind das Leute, die richtig Angst haben. Sie befürchten, nicht mehr gebraucht zu werden und weg vom Fenster zu sein. Sie haben verständlicherweise Vorbehalte gegenüber der digitalen Entwicklung. Wir haben hier eine gesellschaftspolitische Aufgabe zu lösen.



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