Daten-Chef im Interview 28.11.2018, 11:32 Uhr

Robert Jeanbart von SIX: «Schon seit zwei Jahren setzen wir auf die KI»

Schon seit Jahrzehnten stehen Computer auf dem Finanzplatz Schweiz. Vieles ist automatisiert. Tausende Daten werden bereits mit künstlicher Intelligenz verarbeitet, sagt Robert Jeanbart von SIX im Interview.
Robert Jeanbart leitet die Geschäftseinheit Financial Information bei SIX, einem der weltweit grössten Händler von Geschäftsdaten
(Quelle: SIX)
Die Finanzwelt bestand schon immer nur aus Daten. Einer der weltweit grössten Händler von Finanzinformationen ist die SIX. Der Leiter der Geschäftseinheit Financial Information, Robert Jeanbart, gibt im Interview Einblicke in die Prozesse hinter dem globalen Datenhandel, benennt aber auch Herausforderungen wie weiterhin notwendige manuelle Tätigkeiten. Eine ist: Den Not-Aus-Knopf drücken, damit die Börse nach einer Ankündigung der Nationalbank nicht verrücktspielt.
Computerworld: Ihre Geschäftseinheit Financial Information hat ihren Ursprung in der Ticker AG. Was ist noch übrig aus den Gründungsjahren?
Robert Jeanbart: Die Ticker AG ist in den 1930er-Jahren von den Schweizer Banken gegründet worden. Das Unternehmen hatte die Aufgabe, die Preise und Zeiten zu standardisieren. Die Banken wollten Vermögenswerte zu gleichen Bedingungen handeln. Dank der Ticker AG konnten sie Finanzprodukte mit einem eindeutigen Namen beziehen, bekamen identische Daten und zu einem Zeitpunkt X den gleichen Preis wie alle anderen Marktteilnehmer. Dies war noch die Situation, als ich in den 1980er-Jahren in der Informatik einer Genfer Bank tätig war. Am Abend um 18:00 Uhr wurden die Bänder mit den Marktdaten des Tages geliefert. Erst wenn sie in die Bankrechner geladen waren, konnten wir in den Feierabend gehen. Denn das Einspielen dauerte dann bis zum nächsten Morgen. Heute leistet SIX diese Dienste immer noch, allerdings ein bisschen anders. Unsere Datenbank umfasst mitt­lerweile Daten sowie Pricing-Informationen für mehr als 27 Millionen Finanzinstrumente. Davon werden rund 80 Prozent vollautomatisch verarbeitet, bei den übrigen ca. 20 Prozent ist noch Handarbeit erforderlich.
CW: Um welche manuellen Tätigkeiten handelt es sich bei der Verarbeitung?
Jeanbart: Die Kollegen lesen etwa die Zeitung, um eine Dividende oder eine Geschäftsentwicklung nachzuvollziehen. Andere Mitarbeiter studieren Jahresberichte, um Finanzmarkt-relevante Entscheidungen zu identifizierten, oder sie rufen bei Firmen an, um Neuigkeiten beispielsweise in der Zusammensetzung der Geschäftsleitung zu erfahren. SIX hat alle diese manuellen Tätigkeiten ausgelagert. Unsere Partner in Indien und Polen leisten diese Arbeit und tragen die Informationen zusammen. Bei 27 Millionen Fakten sind 20 Prozent etwas mehr als 5 Millionen Daten. Eini­ge sind neu, einige Updates und einige können gelöscht werden, da sie nicht mehr existieren. Bei elektronischen Informationen ist die Sache viel einfacher: Die Daten kommen herein und werden automatisiert verarbeitet. Dann ist der Job erledigt. Aber beispielsweise liefert auch die Schweizer Börse nicht alles digital. Auch hier sind noch ca. 20 Prozent manuelle Arbeiten erforderlich. Beispielsweise sind Steuerinformationen nicht in den Börsendaten inkludiert, Beschlüsse an einer Jahreshaupt­versammlung ebenfalls nicht. Manchmal sind zwar Signale vorhanden, aber wir müssen dann immer noch herausfinden, was die Signale bedeuten.
CW: Sie handeln offenbar täglich mit einer riesigen Datenmenge. Können Sie die Informationen bitte etwas näher beschreiben?
Jeanbart: Bei den über 27 Millionen Finanzinstrumenten handelt es sich um Informationen, die im Durchschnitt jeweils 3000 Attribute aufweisen. Nur um diese Daten zu verarbeiten, benötigen wir hoch leistungsfähige Maschinen. Und natürlich unsere Kunden, die Banken, ebenfalls. Die kleinste Schweizer Bank hat beispielsweise ein Port­folio von 10'000 Produkten. Bei mittelständischen Banken sind es rund 80'000, bei den grossen Instituten zwischen 200'000 und 300'000 Produkte. Ein typischer Investor wird sich in der aktuellen Tiefzinsphase Aktien vorschlagen lassen, deren Wert stabil ist und die eine gute Dividende zahlen. Das Attribut «Dividende» ist 1 von 3000 in den Finanzdaten. Selbst die kleinste Bank mit ihren 10'000 Produkten muss für die Analyse 30 Milliarden Daten kalkulieren, um dem Investor ein adäquates Angebot unterbreiten zu können. Es wäre, als wenn ich um ein Glas Wasser bitten würde, dann aber eine ganze Zisterne über dem Glas ausgeschüttet würde. Das Glas ist zwar voll, viel Wasser wäre aber verloren. SIX hat dieses Problem adressiert mit seinem Service «SIX Flex», bei dem die Kunden zum Beispiel nur die Dividenden von SMI-Firmen beziehen können. Alle Daten liefern wir in Echtzeit, zu jeder Tages- und Nachtzeit sowie auf jede Plattform. Die Bestellung ist sogar am Smartphone möglich.
Am Zürcher Hauptsitz der SIX laufen täglich Millionen Finanzdaten zusammen
Quelle: SIX
CW: Gibt es ein vergleichbares Angebot?
Jeanbart: SIX besitzt hier ein Alleinstellungsmerkmal. Schon in der Vergangenheit konnten wir Daten in dieser Form zwar liefern – wie es auch die Marktbegleiter konnten. Aber wir und auch sie konnten die Informationen nicht direkt in das Backoffice der Kunden einspeisen, um Prozesse wie Risikokalkulationen automatisiert anzustossen. Das Einspeisen funktioniert neu mit «SIX Flex».
CW: Welches sind allenfalls noch weitere Alleinstellungsmerkmale von SIX?
Jeanbart: Die Regulierung betraf in den vergangenen 30 Jahren ausschliesslich die Finanzinstitute und ihre An­gestellten. Von den neuen Vorschriften wie dem Automa­tischen Informationsaustausch (AIA), MiFID II, PRIIP und IRS 871(m) ist erstmals auch der private Investor betroffen. Anstatt früher rund 20'000 Banken werden nun zusätzlich noch 2 Milliarden Privatpersonen reguliert. Allen Vorschriften muss bei jeder einzelnen Transaktion zwischen der Bank und dem Investor genügt werden. Und die Re­gulierung sieht vor, dass nur der ursprüngliche Hersteller eines Finanzprodukts verantwortlich ist sowie der Käufer (Investor) des Produkts allein die Entscheidung trifft. Auf unserer Plattform können nun Händler wie UBS entsprechend der Regulierungen und den Anforderungen des Kunden ein Produkt wählen. In Echtzeit. Alle Angebote sind mit den notwendigen Informationen ausgestattet. Hier sprechen wir von 17 Millionen Fakten. So verbinden wir an einem Ort das ganze Universum der Einkäufer, Verkäufer, Produzenten und Distributoren von regulierten Finanzprodukten. Dieser Hub sucht seinesgleichen weltweit.
Zur Person
Robert Jeanbart
leitet die Geschäftseinheit Financial Information seit Mai 2014. Zuvor war er Global Head of Market Data and Information Services bei SunGard. Weiter amtete Jeanbart als CEO von Infotec und als Managing Director für Grossbritannien und Irland bei Reuters. Er studierte Electrical Engineering an der EPFL Lausanne und schloss mit dem Master of Sciences ab.



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