«Komplexität ist der Feind»

Digitale Transformation als Modebegriff

CW: Was bedeutet für Sie die digitale Transformation?
Crameri: Ich will gerne eine Bemerkung vorausschicken. Die digitale Transformation ist zu einem regelrechten Modebegriff verkommen. Alle Welt spricht darüber, aber keiner weiss genau, was tatsächlich damit gemeint ist. Nach meinem Verständnis ist die digitale Transformation eine vollkommene Neuausrichtung aller Services eines Unternehmens auf die Kundenbedürfnisse. Neu fokussiert sich die Bank auf die gesamte Customer Journey. Und diese wird dann dank digitaler Transformation optimal abgebildet. Für die Banken sehe ich ausserdem die Chance, ihre Produktportfolios und Prozesse zu entschlacken. Diese Entschlackung findet vor einer Digitalisierung statt. Produkte und Services werden dabei kritisch unter die Lupe genommen. Der «Lipstick on a pig» – quasi das Aufhübschen von Ladenhütern mit einer modernen Oberfläche – zählt für mich nicht zur digitalen Transformation.
CW: Adressieren Sie mit Ihren Ideen auch das Business?
Crameri: Wir haben uns eigens für die Digitalisierung intern neu aufgestellt: Das digitale Produktmanagement, die Kollegen aus dem Front Office und die IT sitzen regelmäs­sig zusammen, um über neue Produkte zu sprechen. Während die beiden Business-Einheiten vielmals Anwendungen vorschlagen, zeigen wir von der IT auf, wie wir diese bauen könnten. Manchmal kommen wir dann auf neue Möglichkeiten, wie man Anwendungen alternativ noch bauen könnte – oder welche anderen Anwendungen möglich wären. In diesem Kreis treiben wir uns gegenseitig an. Bei den Banking-Anwendungen beispielsweise für Analytics und Machine Learning kamen die Anregungen hauptsächlich aus der IT. Unserer Meinung nach schlummert hier noch ein riesiges Potenzial, bei dem die IT die Rolle übernehmen muss, die Technologie in entsprechende Business Cases zu übersetzen. Mittlerweile haben wir verschiedene Proof of Concepts schon umgesetzt.
CW: Welchen Anwendungsfall haben Sie umgesetzt?
Crameri: Da ich in der komfortablen Lage bin, sowohl die IT als auch eine Business-Einheit zu leiten, habe ich Machine Learning für eine Mid-Office-Funktion umgesetzt. Der Anwendungsfall sind Anfragen sowie auch Aufträge von Kundenberatern an das Back Office. Die internen Statistiken zeigen, dass über 50 Prozent lediglich Standardanfragen sind. Sie können mit Machine Learning problemlos automatisiert, effektiver und schneller beantwortet werden.
CW: Ist Ihr Team so etwas wie eine «Sandbox»?
Crameri: Diese Anwendung von Machine Learning ist mittlerweile schon mehr als eine Sandbox. Sie ist schon produktiv im Einsatz. Aber nach diesem Muster könnte es in Zukunft mehr Anwendungen geben, die zuerst von IT und Operations getestet und im Erfolgsfall unternehmensweit ausgerollt werden.
CW: Spricht schon der Computer von Credit Suisse mit dem Endkunden?
Crameri: Nein, auf die direkte Kunden­ansprache durch den Computer verzichten wir vorerst bewusst. Die Technologie kommt zurzeit noch ausschliesslich zur Unterstützung der Front-Mitarbeitenden zum Einsatz. Allerdings haben wir einen Chatbot, der die Kunden auf der Webseite begrüsst und ihnen Hilfe anbietet.
CW: Ist der Chatbot eine Eigenentwicklung von Credit Suisse?
Crameri: Nein. Das ist Standardtechnik.Hier folgen wir unserer Strategie: Wenn wir ein neues Projekt lancieren, prüfen wir zuerst, ob wir eine passende Lösung kaufen können. Wenn das nicht der Fall ist, sehen wir uns nach Partnern um oder evaluieren, ob ein passender Service verfügbar ist. Weiter achten wir auf offene Plattformen, um bei einem technologischen Wandel nicht an einen Anbieter gebunden zu sein. Unsere «Cognitive Intelligence Platform» ist beispielsweise Open Source, damit wir möglichst viel Flexibilität haben. Nur schon beim Natural Language Processing entwickelt sich die Technologie zurzeit so rasant weiter, dass wir nicht in einem System gefangen sein wollen. Wenn es eine bessere Lösung gibt, können wir das Modul einfach austauschen.
Mario Crameri hat ein Buch geschrieben über die Abstimmung zwischen IT und Business
Quelle: Samuel Trümpy
CW: Credit Suisse war mit «DirectNet» ein Vorreiter im E-Banking. Sehen Sie die Bank noch immer vorn?
Crameri: An DirectNet erinnere ich mich sehr gut. Bei der Lancierung 1997 war ich allerdings noch nicht in der IT, sondern im Business. Beim DirectNet war die Credit Suisse die Vorreiterin in der Schweiz. Es war aber nicht das erste Mal. Auch das Telefon- oder das Auto-Banking hat zuerst die Credit Suisse lanciert. Die Services entsprachen den damaligen Kundenbedürfnissen und kamen gut an. Aber zurück zur Frage: Ich sehe die Credit Suisse auch heute noch in einer Spitzenposition bezüglich Innovation im Banking. Andere Banken haben – um es positiv zu sagen – mittlerweile massiv aufgeholt. Das will ich nicht verkennen. Weiterhin eine Führungsposition inne hat die Credit Suisse im Firmenkundengeschäft. Hier haben wir in den vergangenen zwei Jahren sehr viele neue Produkte lanciert, zum Beispiel das digitale Kunden-Onboarding für Firmenkunden, Online-Leasing oder Multibank Cash Management. Stark ist ebenfalls unser Angebot im Private Banking. Beim Retail Banking hatten wir einen gewissen Nachholbedarf. Unterdessen sind wir wieder ganz vorn mit dabei und werden unsere führende Stellung noch weiter stärken.
CW: Mit welchem Angebot sticht die Credit Suisse Ihrer Meinung nach besonders heraus?
Crameri: Aus der Vergangenheit besassen wir bereits ein sehr mächtiges Online-Banking. Über die letzten Jahre haben wir es geschafft, eine moderne, bedienerfreundliche und einfache Oberfläche zu entwickeln. Mittlerweile ist die grosse Mehrheit der Kunden sehr zufrieden, was heisst, dass wir einen guten Job gemacht haben.



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