Der Serial-Entrepreneur 19.12.2017, 15:24 Uhr

«Es fehlt der Mut zum Risiko»

Was haben Namics, local.ch und Memonic gemeinsam? An allen drei Firmen war Dorian Selz beteiligt. Nun hält er beim Start-up Squirro die Zügel in der Hand. Im Interview spricht Selz über zaghafte Digitalisierung in der Schweiz und den Vorsprung des Silicon Valley.
Dorian Selz unterhält mit Squirro Büros in Zürich, London, München, New York und Singapur
(Quelle: Samuel Trümpy)
Computerworld: Ist es heute einfacher oder schwieriger, eine Firma zu gründen, als noch vor zehn Jahren?
Dorian Selz: Im ICT-Bereich ist es massiv einfacher geworden, und zwar aus drei Gründen: Erstens wird heute – zum Teil auch in der Schweiz – akzeptiert, dass eine junge Person nicht erst ein Trainee-Programm bei einer grossen Firma absolviert, sondern direkt selber eine Firmenidee umsetzt. Zweitens hat die Technologielandschaft grosse Fortschritte gemacht. Früher hatte man grosse, monolithische Software-Blöcke, heute kleine APIs, sodass man sehr schnell eigene Ideen umsetzen kann. Und drittens sind durch die Digitalisierung heute alle jederzeit erreichbar. So hat man schon am Anfang im Prinzip die Möglichkeit einer globalen Distribution.
CW: Hat sich denn mittlerweile das Risiko verändert, das Unternehmer tragen?
Selz: Nein. Das unternehmerische Risiko ist heute dasselbe wie gestern. Die Schwierigkeit an der heutigen Situation liegt jedoch darin, dass rund um das Entrepreneurship ein totaler Hype ausgebrochen ist. Gehen Sie beispielsweise in irgendeinen Impact Hub: Dort kommen die Leute um halb zehn, zehn mit ihren Latte macchiatos an und finden sich supercool, dass sie jetzt Jungunternehmer sind. Das ist aus mehrfacher Hinsicht eine grosse Lüge. 
CW: Inwiefern?
Selz: Es ist nicht so, dass man mit einem Start-up auf jeden Fall Erfolg haben wird – ganz im Gegenteil. Neun von zehn Jungunternehmen werden keinen Erfolg haben. Momentan wird den Leuten aber vorgegaukelt, dass es so einfach ist wie noch nie zuvor, eine eigene Firma aufzubauen und genau so reich und berühmt zu werden wie die Grössen Bill Gates oder Jeff Bezos. Von der Realität könnte das allerdings nicht weiter entfernt sein. In Tat und Wahrheit ist es ein bisschen schwieriger, als alle denken. Und dann sind da noch Accelerator-Programme, Innovations Tracks und so weiter. Grosse Firmen, die auf diese Art Start-ups um sich scharen, haben einfach immer noch nicht begriffen, dass sie sich so nur Innovation auf die Verpackung schreiben, sie aber nicht im Kern bewirken. Für CEOs sehen solche Programme zwar gut aus, aber für die eigentliche Innovation sind sie nicht förderlich. Nur in den seltensten Fällen werden echte eigene Assets auf die Zukunft verwettet. Die ganzen Innovationsgeschichten bleiben am Rand und sobald sie ins Zentrum der Firma rücken, werden sie geblockt. Warum? Weil sie das Geschäft im Kern potenziell umbauen. Will heissen, dass kurzfristig bonusrelevante Ziele flöten gehen. Entsprechend mauert das Business.
CW: Dann könnte man sich solche Start-up-Programme also auch gleich schenken? 
Selz: Nein, überhaupt nicht. Es gibt kaum Firmen – ausser vielleicht Coiffeursalons oder Tattoostudios, dort ist die Digitalisierung zugegebenermassen wohl schwieriger umzusetzen –, die in Zukunft nicht komplett umgebaut werden. Der Ansatz ist dabei entscheidend. Chefetagen, welche die Digitalisierung mit einem Wattebausch angehen wollen und denken, kosmetische Veränderungen reichen dabei aus, sind komplett falsch gewickelt. Da gibt es wunderbare Beispiele: Die Publigroupe, zu der local.ch einst gehörte, war im Jahr 2000 in jeder Hinsicht der grösste Me­dienkonzern der Schweiz. Fünfzehn Jahre später wurde sie für 500 Millionen Franken verkauft. Die Hälfte davon machte die Bewertung der firmeneigenen local.ch-Anteile aus, ca. 200 Millionen der Immobilienbestand – unter dem Strich wurde sie also für läppische 50 Millionen Franken verkauft.
CW: Wie konnte es so weit kommen?
Selz: Das Management hatte unter anderem nicht begriffen, dass das Internet die ganze Branche komplett umkrempeln wird. Sie haben also Innovationen an den Rand gedrängt, damit diese das Kerngeschäft nicht berührten. Bei local.ch erkannte Robert Schmidli 2004, dass sich mit dem Google-Dienst «Maps» und search.ch – in Kombination mit dem Joint Venture mit der Swisscom, das im digitalen Bereich keine Innovation zu bringen vermochte – der perfekte Sturm zusammenbraute, der sein Geschäft zerstören würde. Er musste also etwas unternehmen. Auf der anderen Seite gab es Carsten Schloter. Er erkannte, dass in der damaligen Konzernstruktur der Swisscom echte Innovation gar nicht möglich war. Mit local.ch hat man dann auf der grünen Wiese angefangen und sich innerhalb von drei Jahren die Markt­führerschaft gesichert. Aber nur, weil wir das bestehende Geschäft gewissermassen mit dem Holzhammer bearbeitet haben. Dabei hat dieses zwar Federn gelassen, insgesamt haben wir ihm damit aber eine digitale Zukunft gegeben.
Zur Person
Dorian Selz
stieg 1999 als Partner bei der Firma Namics ein. Ende 2004 verliess er das Unternehmen und baute local.ch auf. Bis Ende 2008 blieb Selz dort CEO, danach machte er sich an die Gründung von Memonic. Seit 2012 konzentriert sich der Seriengründer nun in der Rolle des Geschäftsführers voll und ganz auf das Zürcher Cognitive-Insights-Start-up Squirro.
www.squirro.com



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