VAX 28.08.2000, 09:38 Uhr

Eine Legende geht in Pension

Compaq stellt die Produktion der VAX ein. Die ursprünglich von der Digital Equipment Corporation entwickelten 'Superminicomputer' haben EDV-Geschichte geschrieben. Ein Rückruf.
Eine PDP 8
Wie ein Lauffeuer verbreitete sich vergangene Woche die Meldung in den einschlägigen Nachrichtengruppen des Internet: Compaq stellt die Produktion der legendären VAX-Rechner ein. Die Szene aufgeschreckt und in Nostalgiestimmung versetzt hat ein Brief von Jesse Lipcon, Direktor der Abteilung für Hochleistungsserver bei Compaq.
Darin kündigt er an, es könnten noch bis zum 30. September 2000 VAX-Computer bestellt werden. Ende Jahr würde dann die allerletzte VAX die Produktionshallen der Texaner verlassen. Compaq begründet die Pensionierung der Rechner damit, dass die 'VAX-Chip-Technik ausgereizt ist'. Zudem hätten viele Benutzer ihre VAX-Systeme durch Hardware ersetzt, die von Alpha-Prozessoren angetrieben werden. So auch die ETH Zürich, an der bis vor kurzem VAX-Rechner für diverse Aufgaben im Einsatz standen und durch Alpha-Server ersetzt wurden.
Mit der Pensionierung der VAX geht ein Kapitel EDV-Geschichte zu Ende. Der Rechner wurde ursprünglich von Digital Equipment Corporation (DEC) Mitte der 70er Jahre entwickelt. Er verhalf der Firma aus Maynard, Massachusetts, von einer 700 Millionen Dollar schweren Produzentin von PDP-Minicomputern (Abteilungsserver) zu einem 14-Milliarden-Dollar-Schwergewicht aufzusteigen und den Branchenkrösus IBMernsthaft zu konkurrenzieren.
Denn die VAX war im Vergleich zu den Grossrechnern des Blauen Riesen nicht nur klein und günstig. Durch das Zusammenschalten mehrerer VAXen - so werden sie im Systemadministratoren-Slang genannt - und durch die Einführung des Konzepts der verteilten Computerei konnte der DEC-Rechner leistungsmässig mit den Mainframes durchaus mithalten.

Gordon Bell - Vater der VAX

Zumindest für einen Mann bei Digital - Gordon Bell - war bereits 1972 klar, dass der Minicomputer PDP-11, damals das Hauptgeschäft vonDEC, wegen seines auf 16 Bit begrenzten Adressierungsraums das Jahrzehnt wohl nicht überleben würde. Bell, der heute bei Microsoft in der Forschungsabteilung arbeitet, scharte ein paar Ingenieure um sich und begann 1975, einen Rechner zu entwickeln, der mit einer auf 32 Bit erweiterten Adressierung umgehen konnte gleichzeitig aber zu den alten PDP-11-Minicomputern kompatibel war.
1977 konnte das Ergebnis, die VAX 11/780, deren Akronym für Virtual Address Extension steht, ausgeliefert werden. Ein Jahr später, 1978, wurde die erste VAX in der Schweiz, beim Cern in Genf, installiert. Zu den Hardware-Highlights gehörte die eingebaute Fehlerkorrektur (Error Correction and Detection Code;ECC) und die Verwendung von virtuellem Speicher.
Doch mit Hardware allein war es noch nicht getan. Gleichzeitig wurde auch mit VMS ein entsprechendes Betriebssystem geschrieben. Unter der Leitung von Roger Gourd werkelten unter anderem Dave Cutler, der später für Microsoft Windows NT entwickelte, das einige architektonische Parallelen zu VMSaufweist, an einem Multiprocessing-System, das in verschiedenen Umgebungen lauffähig sein sollte. So wie die VAX-Hardware zum PDP-11 rückwärtskompatibel war, so verstand sich VMS mit dem Betriebssystem der Minis RSX-11M. Bei der ersten Ausgabe von VMS war denn auch nur gerade der Kernel und verwandte Funktionen mit den VAX-Instruktionen versehen und lief 'nativ'. Der Rest lief als PDP-11-Emulation

Verteilte Computerei

Noch wichtiger für den Erfolg der VAX als die Hardware und Software war das Vermarktungskonzept. Die 'VAX-Strategie' sah die Entwicklung von VAXen in verschiedenen Grössen und Leistungsstufen - von der Workstation über Abteilungsrechner bis hin zu Mainframe-artigen Konfigurationen - vor, die alle mit Hilfe von VMS und mit der Unix-Variante von Digital betrieben werden konnten.
Von Anfang an wurde zudem die Idee der verteilten Computerei kultiviert. Sie sah vor, mehrere Rechner in einem Netzwerk zu verbinden und die Aufgaben auf mehrere Computer zu verteilen. Als Kitt wurde das bereits 1973 entwickelte, hauseigene Netzwerkprotokoll Decnet verwendet. Mit Decnet wurde erstmals das Netzwerkkonzept Peer-to-Peer eingeführt, in dem jeder Rechner oder Knoten gleichberechtigt neben dem anderen steht. (Das englische Peer bedeutet soviel wie Gleicher, Ebenbürtiger.) Damit stand Digital im krassen Gegensatz zu IBM, die weiterhin ihre aus der Grossrechnerwelt stammende hierarchische Netzwerkarchitektur SNA (Systems Network Architecture) pflegte. Decnet war zudem ein wichtiges Vorbild für das später von Bob Metcalfe - übrigens mit Unterstützung von Bell - entwickelte Ethernet.
Erste Erfolge konnte die VAX im technisch-wissenschaftlichen Sektor verbuchen. 'Jedes Labor wollte eine VAX haben', erinnert sich Bell. Dann aber stiessen Vertreter aus der Unternehmenswelt auf die Rechner aus Maynard. Sie merkten, dass sie für weniger Geld ansehnliche Rechenleistung erstehen konnten. Während VAXen zwischen 50000 und 500000 Dollar kosteten, mussten für Grossrechner zwischen 250000 und zehn Millionen Dollar hingeblättert werden.

Die VAX auf einem Chip

Für die Umsetzung der VAX-Strategie musste die VAX miniaturisiert werden. Erreicht wurde dies, indem die wichtigsten Funktionen der Rechner auf einen Chip gebannt wurden. 1985 kam mit Micro-VAX II das erste System mit eigenem VAX-Chip auf den Markt. Es handelte sich dabei um die erste VAX unter 20000 Dollar und dem Bonmot des damaligen Digital-Chef Ken Olsen zufolge die erste VAX, die 'gestohlen werden kann'. Doch erst mit der 5000 Dollar teuren VAX-Station 2000 konnten sich 1987 erstmals Anwender die Rechenkraft der ursprünglichen VAX11/780 auf die Tischplatte holen.
Neben der Miniaturisierung wurde auch an der Leistungsfähigkeit und Ausfallsicherheit der VAXen gearbeitet. Die Performance der Digital-Rechner konnte etwa durch das Konzept des Clusters, das DEC 1983 einführte, erhöht werden.
Dabei werden mehrere Rechner zusammengeschaltet. Diese Computer-Trauben gaukeln dann der Aussenwelt vor, es handle sich um ein einziges System. Mit VAX-Clusters - in der Folge nach einer späteren VMS-Ausgabe Open-VMSClusters genannt - liessen sich zwischen 2 und 96 VAX zusammenfassen.
Zudem wurden Systeme entwickelt, die nicht nur mehrere Rechner zu einem Verbund verknüpfen.Sie wurden auch so konfiguriert, dass der eine Rechner beim Ausfall eines anderen dessen Aufgaben übernehmen kann. Dadurch konnten VAXen auch für Aufgaben bei-gezogen werden, die nach einer Verfügbarkeit von 99,999 Prozent verlangen.

Todesurteil Alpha

Das Ende der VAX war eigentlich schon besiegelt, als Digital 1992 mit dem Alpha einen Chip mit einer komplett überarbeiteten Architektur vorstellte. Der RISC-Prozessor (Reduced Instruction Set Computing) mit einem gegenüber der VAX nochmals verdoppelten Adressraum von 64 Bit läutete das Zeitalter der Systemfamilie Alpha AXPein. Deren Mitglieder bestehen wie die der VAX-Familie aus Arbeitsstationen, Abteilungsrechnern und Mainframe-artigen Grossrechnern.
Durch die Weiterverwendung des VAX-Betriebssystems VMS - von da an Open-VMS - konnten die Anwender ihre alten Applikationen grösstenteils portieren. Die VAX-Rechner müssen sich seither auf ein Leben als Museumsstück einstellen. Immerhin dürfte die VAX-Strategie - dies zeigt die Alpha-Produktepalette - noch eine Weile überleben.

VAX - schön war die Zeit mit Dir

Systemadministratoren und Seeleute haben eines gemein: Sie erzählen gerne Anekdoten, gepfeffert mit einem Schuss Nostalgie. Als Compaq letzte Woche bekannt gab, dass ihre Rechnerreihe VAX nicht mehr hergestellt wird, waren die Nachrichtenforen voll von Erzählungen aus der guten alten EDV-Zeit.
Besonders unter http://www.slashdot.org schwelgten die Mitglieder in alten Erinnerungen. Hervorgehoben wird da die Stabilität der von Digital Equipment hergestellten Rechner, von der - zumindest aus der Sicht der EDV-Veteranen - heutige Systeme nur träumen könnten. 'In den letzten elf Jahren hatten wir keine einzige Minute, in der die VAX ihren Dienst versagte', schreibt 'Initzero'. Auch wenn die Systemadministratoren das zugehörige Betriebssystem VMS als 'schwierig zu erlernen' einstufen, so hätten doch 'Zauberer' damit Dinge anstellen können, die keinen Vergleich mit heutigen Systemen zu scheuen bräuchten. Skurril die Anekdote eines Sysadmin aus einer Brauerei: Bei ihm stieg die VAX ab und zu aus - ohne ersichtlichen Grund. Erst viel später fand man heraus, dass Kakerlaken ihr Unwesen trieben. Das Aufstellen von speziellen Fallen, sogenannten 'Roach Motels', war danach Teil des Support-Pflichtenhefts.
Viele Slashdotter sind zudem überzeugt, dass VAXen - wie sie die Maschinen nennen - noch lange ihren Dienst verrichten werden. Als Beweis erwähnt ein Diskussionsteilnehmer, dass in zahlreichen Abteilungen noch die VAX-Vorgänger PDP-8 und -11 vor sich hin rechnen: 'Solange die funktionieren, werden sie nicht durch unzuverlässige Windows-Rechner ersetzt'.
Auch nach ihrer Pensionierung ist eine VAX brauchbar. Sie eigne sich als Heizung oder als Ablage für Pizzaschachteln (Micro-VAX). Die beste Recyclingidee für eine VAX der ersten Generation (11/780) hatte wohl Vance Haemmerle aus Arizona. Er baute den Rechnerschrank flugs in eine 'VAX-Bar' samt Eismaschine um.



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