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Quereinsteiger in die ICT sind gefragt

CW: Der Wunsch nach Quereinsteigern widerspiegelt sich in der Swiss-IT-Studie. Aber wie schaut es in der Praxis aus? Inwieweit setzen Sie auf Quereinsteiger?
Decurtins: Im Verkauf stellen wir Quereinsteiger ein. Im technischen Umfeld setzen wir aber auf Fachleute, die sich innerhalb der ICT-Jobprofile bewegen. Das sind beispielsweise Leute, die in der Softwareentwicklung gestartet und anschliessend ins Testing übergewechselt sind. Oder Testerinnen, die später Projektleitungen übernehmen. Solche Mitarbeitende sind besonders wertvoll für uns, da sie zwei fachliche Rucksäcke mitbringen für ihre Tätigkeiten.
Hürlimann: Uns ist es ein grosses Anliegen, dass wir Quereinsteigern und Lehrabgängern Möglichkeiten der Weiterentwicklung anbieten. Wir sind auch ein Lehrbetrieb und bilden pro Jahr drei bis fünf Lernende aus und jeder muss seine Chancen erhalten und Erfahrungen sammeln können, um zu wachsen. Wichtig ist die Teamzusammensetzung – vital ist für uns eine gesunde Mischung aus Juniors, zu denen ich Quereinsteiger oder Lehrabgänger zähle, und erfahrenen Mitarbeitenden wie Professionals und Seniors.
“Wir haben in unserem IT-Betrieb gute Erfahrungen mit Quereinsteigern gemacht„
Peter Schwarzenbach, Reka
Schwarzenbach: Wir arbeiten gerne mit Quereinsteigern. Das klappt gut! Es gibt Leute, die etwa eine Affinität zu PCs besitzen und durch Autodidaktik Wissen mitbringen. Bei Reka haben wir beispielsweise einen ehemaligen Strassenbauer für den PC-Support eingestellt. Im Gesamtbetrieb werden unsere Abläufe immer digitaler. Deshalb analysieren wir, was unsere Mitarbeitenden im digitalen Umfeld können und wo noch Wissenslücken bestehen. Ein Beispiel: Mit den Reka-Checks betreiben wir ein Zahlungsmittel. In diesem Business zeichnet sich seit einigen Jahren ein 
Wandel ab in Richtung bargeldloses Bezahlen und Mobile Payment. Entsprechend müssen wir uns etwa mit Security und Zertifikaten auseinandersetzen. Hier sind Kompetenzen hinzugekommen, die wir von aussen reinholen oder intern ausbauen müssen. Wo immer wir also eine Möglichkeit sehen, die eigenen Leute weiterzubilden, machen wir das.
CW: Herr Gutknecht, was müsste aus Verbandssicht 
getan werden, um die Weiterbildung zu fördern?
Jürg Gutknecht, Ex-Präsident und Board Member SI: 
Es gibt hierzulande zahlreiche hochkarätige Institutionen, welche die Informatikgrundausbildung bewerkstelligen. Jedoch endet ihre Arbeit mit der Verleihung des Abschlusses. Das Diplom, das jemand mit Mitte 20 erhält und das für das restliche Berufsleben gelten soll, enthält aber einen konzeptuellen Mangel. Es sollte nicht so sein, das ein Di­plom das ganze Leben lang Gültigkeit besitzt, vielmehr sollte es der Startschuss einer Karriere sein. Abschlüsse sollten periodisch oder graduell überprüft und erneuert werden. Weiterbildung sollte also nicht auf der persönlichen Initiative oder der des Arbeitgebers aufbauen, sondern auf einer institutionalisierten Basis. Deshalb hat die SI gemeinsam mit swissICT die Initiative LebensLanges Lernen (3L) lanciert.
“Diplome sollten regelmässig ein Update erhalten„
Jürg Gutknecht, SI
CW: Was kann das Framework leisten und welchen Anklang findet 3L im IT-Markt, Herr Hunziker?
Christian Hunziker, Geschäftsführer, swissICT: Die eine wichtige Komponente ist die Thematisierung des Lebenslangen Lernens im 3L-System. Die zweite Komponente betrifft die Quereinsteiger, eine Gruppe, die wie Herr Marti aufgezeigt hat, vermehrt den Weg in die ICT-Berufe sucht. Der Test, der im Rahmen von 3L durchgeführt werden muss, ist unabhängig davon, wie jemand zu seinem Wissen, Können und seinen Fähigkeiten gekommen ist. Abschliessend erhält man ein Zertifikat, ein wichtiger Massstab für die 
übergeordnete Qualifikationsbeurteilung. Das kann Fachkräften und Quereinsteigern bei der eigenen Standort­bestimmung und Karriereentwicklung helfen.
CW: Inwieweit profitieren Unternehmen von 3L bei der Entwicklung ihrer Mitarbeitenden?
Gutknecht: Für die Arbeitgeber ist es ein wertvolles In­strument, sowohl bei der Auswahl von Stellenbewerbern als auch bei der Überprüfung der Kompetenzen ihrer Fachkräfte und deren Weiterbildungsbedarf. Ich denke, dass es besonders in der aktuellen Situation mit IT-Quereinsteigern aus hochgradig diverser beruflicher Vergangenheit wichtig ist, dass es hierfür einen schweizweit legitimierten Massstab einer unabhängigen Organisation gibt. Ein weiteres Plus ist die Verpflichtung der 3L-Zertifizierten zu ethischem Verhalten, genauer zur Einhaltung des Code of Ethics, den die SI mit Experten aus den Geisteswissenschaften entwickelt hat.
CW: Wie beurteilen Sie als HR-Expertin die 3L-Initiative als Mittel der Standortbestimmung von Fachkräften?
Stucki: HR-Abteilungen verschiedener Unternehmen schauen sich das Framework sehr genau an, da swissICT bereits in der Vergangenheit viele gute Initiativen lancierte, die heute Standards in der Branche sind. 3L ist nachvollziehbar und kommt unserem Bedürfnis nach, Fachkräfte in den Unternehmen zu halten und auf die Herausforderungen am Arbeitsmarkt zu reagieren. Es stellen sich aber mehrere Fragen: Wird 3L den Durchbruch schaffen? Werden die Zertifizierungen auf dem Arbeitsmarkt fast zur Pflicht? Werden am Ende Arbeit­geber ihre Belegschaften auf Qualifi­kationen hin prüfen und auf die Bereinigung von Qualifikationslücken hinarbeiten?
CW: Wie schätzen Sie die Entwicklung ein?
Stucki: Aus HR-Perspektive kann ich sagen, dass wir viel darüber nachdenken, wie wir uns zukunftsfähig machen können und welches die nötigen Future Skills sein werden. Es liegt nahe, dass die Digitalisierung ein Top-Thema in allen Arbeitsbereichen wird. Dafür sind künftig Neugierde und Offenheit die relevanten Schlüsselfähigkeiten für alle Fachkräfte. Denn heute lautet der Begriff Digitalisierung anders als vielleicht in fünf Jahren. Dass Menschen Neues aufnehmen und sich an veränderte Situationen anpassen, scheint mir die Stossrichtung von 3L zu sein. Für mich ist es daher nur eine Frage der Zeit, bis die Initiative sich durchsetzt. 
Decurtins: Ich sehe 3L als sinnvolles Hilfsmittel, um die Qualifizierung unserer Mitarbeitenden einzuschätzen. Es ist auch für die Mitarbeitenden selbst spannend, um einen Überblick darüber zu erhalten, wo noch Lücken bestehen bei der Ausbildung. Inwieweit sich die Qualifizierung nach 3L standardisieren lässt, weiss ich nicht. Bei der Grund­ausbildung mag das möglich sein. Aber hinterher divergieren die Laufbahnen stark, je nachdem, ob sich jemand auf eine sehr technische Karriere fokussiert wie Softwareentwicklung oder eine Karriere in den Data Sciences oder in der Projektleitung in agiler Entwicklung anstrebt.
“3L belegt Qualifikationen und schafft Vertrauen. Das eröffnet Chancen für Quereinsteiger, um die digitale Transformation vorwärts zu bringen„
Christian Hunziker, swissICT
Hunziker: Im möchte betonen, dass das Framework keine die Weiterbildung betreffenden Gebiete vorgibt. Vielmehr wird mit 3L institutionalisiert, dass überhaupt weitergebildet wird – nur das wird geprüft.



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