«Firmen agieren bei S/4Hana noch sehr zögerlich»

Brownfield der Standard, Cloud nicht

Wie weit ist die Schweiz wirklich bei der Migration auf die neue ERP-Version?
Jean-Claude Flury: Am Stand hat sich nicht viel geändert. Sprich: Nur eine tiefe Prozentzahl der Kunden hat tatsächlich schon komplett auf S/4Hana umgestellt und die alten Plattformen stillgelegt. Wenn SAP andere – höhere – Zahlen kommuniziert, werden vermutlich auch Pilotprojekte oder Kunden, welche erst die Lizenz gelöst haben, mitberücksichtigt. Auch werden Firmen mit mehreren SAP-Installationen gezählt, die vielleicht ein kleineres und weniger geschäftskritisches System migriert haben. Die meisten Unternehmen agieren noch sehr zögerlich.
Jean-Claude Flury von der DSAG sieht den Termin für das Support-Ende von R/3 nicht in Stein gemeisselt
Quelle: DSAG
Bei der Migration stehen die Unternehmen vor der Wahl zwischen Brownfield und Greenfield. Welche Methode wird am häufigsten gewählt?
Flury: Ich bin nicht sicher, ob ich einen reinen Greenfield-Ansatz überhaupt schon einmal gesehen habe. Im Idealfall würden dabei die Systeme auf der «grünen Wiese» inklusive aller neuen Business-Prozesse aufgebaut. Damit geht dann aber nicht nur eine technische Umstellung, sondern auch noch eine Neuorientierung der Geschäftsabläufe einher.
Viele Unternehmen werden sich vermutlich auf eine eher technische Migration beschränken. Dann haben sie zunächst Ruhe wegen der bisher nur bis 2025 von SAP zugesicherten Wartung. Sie übernehmen Stammdaten wie zum Beispiel Debitoren und Kreditoren, ohne auf ein neues Datenmodell einzusteigen, damit das Geschäft weiterlaufen kann. In diesen Fällen würde ich eher von Brownfield sprechen.
Welche Bedeutung hat Microsofts Schweiz-Cloud mit speziellen SAP-Komponenten für Migrationsprojekte?
Zumbach: Bis anhin habe ich kein gesteigertes Interesse registriert.
Flury: Es wird sicherlich einige Firmen geben, die sich beim Umstieg dafür entscheiden, das SAP-System nicht mehr im eigenen Rechenzentrum zu betrieben. In ein bis zwei Jahren werden wir vermutlich solche Outsourcing-Projekte vermehrt auch zu den Hyperscalern sehen.
Die grösste Herausforderung beim Umstieg auf S/4Hana ist auch nicht ein neues Betriebskonzept, sondern vielmehr die Migration der Daten. Die «alten» Bestände müssen in die neuen Prozesse gebracht werden – meistens inklusive des Wechsels des Datenbank-Anbieters und allen Konsequenzen für den kundeneigenen Code sowie bestehende Datenstrukturen.
Welche Bedeutung haben alternative Wartungsanbieter im Zusammenhang mit der von SAP bis 2025 zugesicherten Wartung?
Zumbach: Alternative Wartungsanbieter sind im Schweizer Markt zwar präsent. Es gibt aber meines Wissens nach kein Schweizer Unternehmen, das die Dienstleistungen in Anspruch nimmt.
Flury: Auch wenn ich aktuell nicht glaube, dass 2025 endgültig Schluss ist mit dem ERP-Support: Wenn es doch hart auf hart geht, kann ich mir schon vorstellen, dass sich verschiedene Unternehmen bei den alternativen Anbietern von Wartung einen temporären Puffer einkaufen.
Ich weiss von ein paar Firmen, darunter auch grösseren Schweizer Konzernen, welche das drohende Wartungsende zum Anlass nehmen, eine offene Diskussion über Alternativen zu SAP zu führen. Nicht alle Firmen brauchen im ERP-Kern Neuerungen und sehen folglich nicht ein, warum sie für einen rein technischen Wechsel hunderttausende Franken ausgeben sollen. SAP kann hier nur gewinnen, wenn sie offen auf die Kunden zugeht, und Mehrwert und Lösungen für den Umstieg aufzeigt.
Zur Person
Jean-Claude Flury
ist seit September 2016 Mitglied des DSAG-Vorstands für das Ressort Marketing und Vertrieb. Daneben ist er seit März 2012 Sprecher für den CIO-Kreis Schweiz und Mitglied des CIO-Beirats der DSAG. Hauptberuflich amtet Flury seit dem vergangenen Jahr als Head of IT beim Haushaltsgeräte-Hersteller V-Zug.



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