Swiss-IT-Studie 2020 02.07.2020, 14:30 Uhr

Für eine erfolgreiche Digitalisierung

Die digitale Transformation tritt in eine neue Stufe. Es entwickeln sich neue Märkte und Ökosysteme. Umso wichtiger wir die wachsende digitale Kom­petenz von Mitarbeitenden und der Geschäftsleitung - mit Unterstützung der IT-Abteilung.
Eine neue Phase der digitalen Transformation steht an
(Quelle: Fotolia)
Rückblickend erkennt man, dass der gesellschaft­liche Wandel eine grosse Rolle in der IT-Entwicklung gespielt hat – in Wechselwirkung mit dem technischen Fortschritt. Als das Konsumzeitalter begann und etwa zur selben Zeit die Informatik benutzerfreundlich wurde, verbannte man den Informatik-Unterricht aus den Schweizer Gymnasien. Denn Programmierkenntnisse waren zur Nutzung von Computern nicht mehr notwendig.
Verstehen konnte an Experten delegiert werden. In Folge wurde der Informatik-Unterricht vor 25 Jahren gewissermassen entsorgt. Damals startete ich meinen ersten Blog, weil es nach Meinung meines Arbeitsumfelds im Zeitgeist lag, das Internet endlich noch für etwas anderes als nur den Austausch unter Forschenden zu nutzen. «Zürichs Zynischer Theaterindex» löste zwar zunächst Ablehnung aus, aber irgendwann wurde er zum Ausdruck des Zürcher Grooves deklariert und akzeptiert.
Neben Vorurteilen und deren Wandel waren es oft auch sehr spezifische Sichtweisen und Differenzen, welche die Entwicklungen der IT bestimmten. Informatik wurde beispielsweise stark auf den mathematischen Aspekt reduziert, konkret auf die Rolle der Algorithmen. Dies hat dem Fach nicht immer gutgetan. Für komplexe Anwendungssysteme braucht es mehr als gute Algorithmen, etwa eine gute Architektur und überzeugende Benutzererfahrung.

Diversity stärkt den Fachkräftemarkt

Aber auch die sozialen Strukturen prägten viele Entwicklungen der Informatik. So waren die ersten Software-Spezialisten fast ausnahmslos Frauen. Zu jener Zeit versprach der Bau von Hardware mehr Prestige als die Entwicklung von Software. Als sich das änderte, wurden Frauen in kürzester Zeit aus dem Software-Geschäft verdrängt.
Selbst in Zukunft werden soziale Phänomene die Entwicklung des IT- und Fachkräftemarkts prägen. Etwa die Diversität in 
IT-Berufen. 2018 entfielen nur 11 Prozent der Abschlüsse in der IT-Ausbildung auf Frauen. Insgesamt waren nur 14,5 Prozent der IT-Fachkräfte weiblich.
Die von männlichen IT-Fachkräften dominierte Branche prägt aber die IT-Kultur in der Schweiz – und auch das Verhalten der Frauen in der IT. Im Ergebnis leidet die Attraktivität der IT-Berufe für alle. Hier ist die Branche insgesamt gefragt, um junge Frauen für IT-Berufe zu begeistern. Projekte und Förderprogramme von Verbänden und Unternehmen entwickeln erste zarte Blüten. Die Bemühungen müssen aber weitergehen.

Das Digitalisierungsverständnis wächst

Eine begrüssenswerte Entwicklung ist, dass das Digitalisierungsverständnis unter Entscheidern in den Fachabteilungen populär wird. Dieser Trend wird – wie einst das Outsourcing – die Rolle der IT in den Unternehmen verändern.
Absehbar ist jedoch auch, dass ein oberflächliches IT-
Verständnis in der Geschäftsleitung in manchen Fällen hässliche Folgen zeigen wird. So ist es herausfordernd, 
un­kundigen Führungskräften IT zu erklären. Entsprechend schwerer wird es, viertel- und halbkundigen Führungskräften richtige IT-Entscheide zu vermitteln.
Einst sagte ein bekannter Schweizer Gründer während eines Streitgesprächs zu mir: «Ein IT-Projekt, von dem die Geschäftsleitung erfährt, bevor es fertig ist, das ist tot.» Das ist sehr pointiert formuliert. Leider war es zu oft richtig.
Was Schweizer Unternehmen daher heute benötigen, sind CEOs und Geschäftsleitungen, die neugierig und offen genug sind, die vielen Besonderheiten der IT verstehen zu wollen. Wenn diese Führungskräfte beispielsweise selbst einmal eine Machine-Learning-Applikation programmiert haben, so ist das toll. Wenn man aber meint, solche Übungen ersetzen umfangreiche Programmier­erfahrungen, so kann das katastrophal enden.

Corona-Krise beschleunigt Digitalisierung

Die aktuelle Gesundheitskrise wird die Weiterentwicklung der Online-Zusammenarbeit fördern. Die nun gemachten Erfahrungen werden zu besseren digitalen Werkzeugen 
führen, und wir werden lernen, diese effizient einzusetzen.
Dabei sind die Lernerfahrungen derzeit sehr unterschiedlich: In der einen Organisation wurde ruck, zuck auf Home Office und virtuelle Kollaboration umgestellt, in der anderen hat man nicht einmal daran gedacht und musste mühsam Lösungen entwickeln.
Hinzu kommt, dass es bereits erste Widerstände gibt gegen eine Fortführung von Online-
Arbeit nach dem Ende der Krise. Wichtig ist, dass die Digitalisierung der Zusammenarbeit kein Mehr an Bürokratie sowie Kontrolle erzeugt und die Menschen nicht von ihrer eigentlichen Arbeit abgehalten werden.
Quelle: Computerworld/ICT-Analytics

Neue Werkzeuge für Business-Entscheide

Entsprechendes gilt auch für digitale Werkzeuge zum besseren Entscheiden in Krisensituationen: Einfache, anwendertaugliche Simulationswerkzeuge – nicht die Dinger mit 20 Theorien und 1000 Variablen – werden Einzug halten in unsere Arbeit. Auch andere Arten digitaler Wissens-, Denk-, und Kreativwerkzeuge werden indirekt profitieren und populärer werden – vorausgesetzt, sie werden so weiterentwickelt, dass sie für Benutzer einfacher zu bedienen sind.
Zudem wird das Testen voraussichtlich in vielen Lebenslagen Einzug halten. Auch in Form des heute schon teils genutzten «hypothesenbasierten Managements». Nur, was das alles genau bedeuten und welche Folgewirkungen 
es auslösen wird, das kann niemand voraussagen.
Weder 
datenbasiertes «Superforcasting» noch «Small-Data-Pro­gnosen» helfen, die Veränderungen der Zukunft richtig zu antizipieren, denn diese ergeben sich aus komplexen Wechselwirkungen vieler Faktoren. Mit der Digitalisierung ist es wie mit der Juristerei: Nach dem Prozess ist man klüger.

Zukunftsvisionen erfolgreich umsetzen

Selbst Visionäre konnten in der Vergangenheit die Zukunftsentwicklungen nur in einigen Aspekten erkennen. Dabei kommen meist 80 Prozent der Antizipation von sehr guter Kenntnis der heutigen Informatik und der Digitalisierung. Nur die restlichen 20 Prozent sind tatsächliches Genie.
Apples Steve Jobs profitierte bei der Erfindung des iPhones von vielem: seinen eigenen Fehlern der Vergangenheit (aus denen er gelernt hatte), von der Kenntnis der Technikgeschichte, den Erfahrungen des vorhergehenden Erfolgs mit iTunes und dem iPod, der Kenntnis des Stands der staatlich geförderten Forschung, deren Resultate er intensiv nutzte, und dem Willen zum radikalen Qualitäts­anspruch. Ausserdem konnte er gut reden, aber das hätte ihm ohne ein gutes Produkt wenig genützt.
Der Apple-Chef war erfolgreich, weil er viel wusste, klar dachte und nicht bereit war, pragmatisch zu handeln. Von Jobs lernen, heisst eigene Fehler reflektieren, gelassen zuwarten, Wissen akkumulieren, mutige Visionen entwickeln und auf Top-Qualität setzen.
Dazu muss man kein Genie sein. Es genügt, neugierig zu sein und Berater zu haben, die geradlinig statt linear denken. Geradlinig Denken heisst nicht, Prognosen wiederholen und extrapolieren, sondern die Welt in ihrer ganzen Komplexität ernst nehmen und prototypisch einfache Zukunftsideen entwickeln.
Meist passiert leider das Gegenteil: Die Wirklichkeit wird radikal vereinfacht – etwa auf Kennzahlen reduziert –, dafür werden Zukunftsideen entwickelt, die weder einfach sind noch ernsthaft hinterfragt werden. Weil dieses «lineare Vor­gehen» normal ist, hat man mit bei einem dem entgegengesetzten, geradlinigen Vorgehen selten Konkurrenz.

Folgen für den Arbeitsmarkt

Eine grosse Frage ist, wie sich der IT-Arbeitsmarkt ver­ändern wird. Manche Antworten sind dabei einfacher, andere schwieriger. Die Antwort auf den besonders wichtigen Aspekt, ob die beschleunigte Digitalisierung den Mangel an guten IT-Fachkräften verstärken oder im Gegenteil beheben wird, ist derzeit aber mehr als unklar.
Wenn Problemlösungsstrategien aus der Informatik, wie etwa das algorithmische Problemlösen, an Hochschulen zu einer Schlüsseldisziplin für fast alle Fächer werden, könnte das zur Folge haben, dass in Zukunft wieder ge­nügend IT-Fachkräfte im eigenen Land ausgebildet werden. Denn eine solch massive Veränderung der Ausbildungslandschaft dürfte zu zahlreichen gut ausgebildeten Quereinsteigern in die Informatik führen.
Es könnte aber auch dazu führen, dass den IT-Abteilungen zunehmend Kompetenzen weggenommen werden, weil einige Anwender aus den Fachabteilungen besser programmieren als die Mitarbeiter der IT-Abteilung. Oder es könnte zu einem Reputationsverlust der Informatik überhaupt kommen. Etwa weil künftig mit Zero-Code-Plattformen, die praktisch keinerlei Programmierkenntnisse erfordern, fast alle Anwender Applikationen nach ihren Wünschen erstellen können.
Quelle:

Computerworld/Swiss-IT 2020

Drei Aufgaben für die Geschäftsleitung

Für die Geschäftsleitung gibt es bei der digitalen Transformation insbesondere drei Schlüsselaufgaben: Erkennen und Realisieren des unternehmensspezifischen Nutzenpotenzials der Digitalisierung, die Förderung der professio­nellen Transformation der IT-Abteilung und die zielgerichtete Förderung der IT-Weiterbildung von allen Mitarbeitenden. Die erste Aufgabe ist für alle Unternehmen eine grosse Herausforderung.
Die zweite Aufgabe hängt stark vom jeweiligen Entwicklungsstand ab, wird aber gerade von Grossunternehmen oft unterschätzt. Die dritte Aufgabe zu bewältigen, ist vor allem für kleine und mittlere Unternehmen äusserst schwierig, während Grossunternehmen hier zum Teil schon sehr weit sind.
Zu den Nutzenpotenzialen zählen sowohl Verbesserungen in den Erfolgsdimensionen des Unternehmens als auch völlig neue Geschäftsmodelle. So hilft die Digitalisierung etwa, die Kundenorientierung zu erhöhen. Sie ermöglicht zudem, die Geschäftstätigkeit geografisch und entlang der Wertschöpfungskette auszudehnen.
Ebenso macht sie die Arbeitsausführung zugleich billiger und qualitativ besser. Sie unterstützt die Zusammenarbeit und die Kreativität. Sie beschleunigt die Innovationsentwicklung und ermöglicht – etwa mit digitalen Zwillingen – viele Aspekte der Geschäftstätigkeit zu optimieren.
Darüber hinaus erlaubt die Digitalisierung alternative Valorisierungen von Dienstleistungen, beispielsweise durch die Verwertung von Kundendaten, die durch kostenlose Services entstehen. Aber den wirklichen Bruch mit der analogen Welt stellen die Geschäftsmodelle der kundenorientierten Geschäftsökosysteme (Business Ecosystems) dar.
Hier wird die Kundenbeziehung zur Macht, mit der man den Produzenten von Produkten und Dienstleistungen die Bedingungen diktieren kann. Die Plattformbesitzer können Zugang, Art der Angebote, Preise und den Informationsfluss bestimmen und so einen grossen Teil an Innovationsrendite der auf der Plattform anbietenden Unternehmen abschöpfen.
Kundenorientierte Business Ecosystems haben deshalb das Potenzial, in den kommenden Jahren die Märkte dramatisch umzugestalten. Für kleine Unternehmen bilden sie sowohl Chance als auch Gefahr.

Digitale Fitness stärken

Die Transformation der Unternehmens-IT ist eine leicht zu unterschätzende Aufgabe. Sie muss darauf abzielen, die Innovationsgeschwindigkeit zu beschleunigen, die Bewirtschaftung der Daten zu pushen und die Komplexitäts­risiken im Zaum zu halten. Für kleine IT-Abteilungen ist es wichtig, die Beziehung zum Business und die Beziehung zu den Lieferanten zu professionalisieren.
Zur Auftragsannahme aus dem Business durch die Business Engineers kommt neu die Aufgabe hinzu, proaktiv den Fachabteilungen Innovationsideen zu liefern. Auf der anderen Seite braucht es die Einführung eines Anbieter-und-Partner-Managements, das über hohe Technologiekompetenz verfügt, die Kontrolle über die Aufträge behält und resilient gegenüber Personalausfällen ist.
Aber auch auf der Business-Seite ist digitale Fitness notwendig. Rollen und Prozesse müssen verstanden, kompetente Verantwortliche für die Zusammenarbeit mit der IT benannt werden. Die Geschäftsleitung und ge­nügend viele Mitarbeitende in den Fachabteilungen müssen einen Überblick über die Möglichkeiten der neuen Technologien haben. Sie müssen sie nicht immer bedienen können, aber sie müssen verstehen, was damit gemacht werden kann. Zudem müssen sie mögliche Nachteile abschätzen können, um entstehende Probleme im Griff zu behalten.

Mitarbeiter weiterbilden

Die dritte Schlüsselaufgabe für die Geschäftsleitung in der digitalen Transformation ist die zielgerichtete Förderung der Mitarbeitenden im Bereich der Weiterbildung. Diese fängt in der IT-Abteilung selbst an. Leider gibt es häufig nur eine geringe Bereitschaft, die technische Weiterbildung von IT-Fachkräften zu fördern.
Ein solches Verhalten des Managements schadet nicht nur langfristig den Unternehmen selbst, sondern es senkt auch die «Employability» der Mitarbeitenden. Eine regelmässige Evaluation der Fähigkeiten und die geeignete technische Weiterbildung sind zentral für eine zukunftsfitte IT-Abteilung.
Anschliessend braucht es eine bedarfsgerechte Schulung der IT-Nutzungskompetenzen bei allen Mitarbeitenden – Geschäftsleitung inklusive. In der aktuellen Situation sind Kollaborationswerkzeuge prioritär, in Zukunft wird es aber viel mehr Mensch-Maschinen-Zusammen­arbeit brauchen.
Allen sollte auch ein Mindestmass an Verständnis und etwas Begeisterung für IT-Themen vermittelt werden. Ergänzt sollte diese Weiterbildung um die neuen Schlüsselkompetenzen der digitalen Welt werden, beispielsweise das Kuratieren von Inhalten und das Gestalten von Digitalisierungsgeschichten.
Letztlich wird die digitale Transformation dadurch bestimmt, was die einzelnen Fachberufe und die Unternehmen daraus machen. Es sind wir Menschen und unser Tun, die im Zentrum stehen.
Bausteine für den Geschäftserfolg
Digitale Zwillinge = digitale Darstellungen von Echtwelt-Entitäten, beispiels- weise von Maschinen oder von Industrieanlagen. Die digitalen Abbilder können durch mathematische Algorithmen optimiert werden. Diese Optimierungen können anschliessend in der Wirklichkeit implementiert werden.
Kundenorientiertes Business Ecosystem = Netzwerk von Organisationen, die gemeinsam Kundennutzen schaffen. Oft ist dabei eine digitale Plattform invol- viert, die einen Marktplatz darstellt. Vereint dieser Marktplatz ein grosses Spektrum an Anbietern, so spricht man einer Definition von Philipp Staab folgend von einer «marktgleichen Plattform». Amazon, das iPhone und das Android-Ökosystem sind typische Beispiele marktgleicher Plattformen.
Vendor & Partner Management = Management der Beziehungen zu Lieferanten und Partnern in Analogie zum CRM (Customer Relationship Management). Bei allen grundsätzlichen Unterschieden gibt es auch echte Gemeinsamkeiten: Es geht darum, das Interaktionsverhalten der anderen im Eigeninteresse zu steuern. Spe- ziell ist die Gefahr, von den Lieferanten – beispielsweise den Softwareentwicklern – gesteuert zu werden. Um dies zu verhindern, muss genügend Technologiekompe- tenz inhouse vorhanden sein.
Internes CRM der IT-Abteilung = Management des Miteinanders mit den Auf- traggebern im Business als Gegenstück zum IT-Alignment, mit dem das Business die IT-Abteilung führt. Ideal ist für beide Seiten, wenn man auf Augenhöhe zusammenarbeitet und jeweils einen Teil der Aufgaben der anderen Seite übertragen kann. Ziel ist ein auf Gegenseitigkeit beruhendes Mitdenken für die anderen.



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