12.04.2007, 09:47 Uhr

Auslagerung in der Bewährung

Die Versicherungs- und Finanzdienstleisterin Zurich Financial Services hat im Sommer 2004 begonnen, ihre IT-Dienste über ein weltweites Outsourcing zu konsolidieren und zu rationalisieren. Cheftechniker Michael Paravicini resümiert die Erfahrungen des Auslagerungsprozesses.
Michael Paravicini, CIO bei Zurich Financial Services, lobt die mit der Auslagerung erreichte Anwenderzufriedenheit.
Vor zweieinhalb Jahren schloss die Zurich Financial Services Group (Zurich) den damals weltweit grössten Outsourcing-Vertrag in der Versicherungsbranche ab. Die Vereinbarung war ein wichtiger Bestandteil der globalen IT-Strategie der Zurich. Sie sah vor, IT-Dienstleistungen innerhalb der gesamten Gruppe zu konsolidieren und zu rationalisieren.
Michael Paravicini, heutiger CIO bei Zurich, resümiert die Hintergründe des Auslagerungs-entscheids, dessen Umsetzung und die bisherigen Resultate.

Die Ausgangslage

Mit international rund 55000 Mitarbeitern arbeitet die Zurich in über 120 Ländern. «Trotz der globalen Tätigkeit bestand das Unternehmen damals aus einer Vielzahl weitgehend autonomer Geschäftseinheiten», erklärt Paravicini. Diese Organisation sei angesichts sinkender Börsenkurse in den Jahren 2001 und 2002 nur noch schwer aufrecht zu erhalten gewesen.
Besonders stark hätten sich die Probleme in der Informatik gezeigt, weil die einzelnen Geschäftseinheiten eigene Prozesse und individuelle IT-Organisationen aufgebaut hatten. «Die Zurich beschäftigte in der IT mehr als 30 CIOs und insgesamt rund 7600 Mitarbeiter. Das Budget umfasste über 1,7 Milliarden Dollar». Dabei seien wenig Synergien erzielt und kaum Kooperationen eingegangen worden, erklärt der IT-Chef. Das Geschäftsmodell sei für den weltweit tätigen Konzern auch deshalb überholt gewesen, weil die Kunden erwarteten, überall auf der Welt die gleichen Dienste beziehen zu können.
Die Geschäftsleitung der Zurich hat auf diesen doppelten Druck reagiert, indem sie sich entschied, die Struktur des Unternehmens grundlegend zu verändern. Die regionale Aufteilung in sechs grosse Geschäftseinheiten wurde ersetzt.
Das hatte zur Folge, dass die IT-Abteilung beispielsweise in Europa vor der paradoxen Aufgabe stand, mit lokalen Einheiten ein paneuropäisches Geschäftsmodell unterstützen zu müssen. «Deshalb war die Neuorientierung der IT unausweichlich geworden», resümiert Paravicini die Umorganisation.
Die Informatik wurde hierzu zunächst aus den einzelnen Geschäftseinheiten herausgelöst und in einer separaten «Group IT» zusammengefasst. Dann wurden die sechs grossen Rechenzentren und über ein Dutzend Serverfarmen, welche die Zurich in den verschiedenen Ländern unterhielt, konsolidiert. Heute werden nur noch zwei grosse Rechenzentren betrieben - je eines in der Schweiz und in Los Angeles.

Der Umbau

Die gesamte Technik - Grossrechner, Server und Datenspeichersysteme - wurde erneuert und standardisiert. Aktuell kommt bei der Datenspeicherung praktisch ausschliesslich EMC zum Einsatz. Mit IBM wurde zudem der Bereich «Managed Desktop» vereinheitlicht und eine international identische Infrastruktur aufgebaut.
Mit der einst stark lokal ausgerichteten IT konnte das globale Geschäftsmodell der Zurich nicht wirksam unterstützt werden. So waren etwa 4500 Applikationen im Einsatz. Eine Analyse zeigte, dass ein grosser Teil des IT-Budgets in die Systemwartung floss, erklärt Paravicini. Um auch die Anwendungslandschaft so weit als möglich zu bereinigen, habe man daher verschiedene Outsourcing-Modelle geprüft und eine klare Strategie definiert.

Die Vorgaben

«Dass nur eine Auslagerung der Applikationsentwicklung die gewünschte Flexibilität und Produktivität ermöglichen würde, stand nach der Analyse ausser Frage», sagt er. Wichtig sei dabei gewesen, dass bei traditionellen Outsourcing-Projekten zwar oft nur rund drei Prozent der IT im Unternehmen bleiben, die Zurich aber alle strategisch wichtigen Aufgaben im Haus behalten wollte: «Einen Verlust von Know-how sowie von Steuerungsmöglichkeiten wollten wir vermeiden».
Das Outsourcing belief sich schliesslich auf rund 1,3 Milliarden Dollar bei einer Laufzeit von sieben Jahren. Innerhalb von vier Monaten nach der Vertragsunterzeichnung transferierte die Zurich rund 1600 Softwareentwickler in den USA, Grossbritannien und der Schweiz an die Outsourcerin CSC. Business-Analysten, Systemarchitekten, Programmmanager und andere Stellen, die für die Steuerung und Unterstützung des Geschäfts wesentlich sind - insgesamt rund 30 Prozent des IT-Personals - verblieben bei der Zurich.

Die Ziele

Fokussiert wurde dabei keineswegs auf reine Kosteneinsparungen. Es sei vielmehr um eine Steigerung der Flexibilität und der Produktivität gegangen, erläutert der CIO. Die globale Strategie habe verlangt, IT-Kapazitäten in grösserem Umfang und vor allem rasch dort zur Verfügung zu stellen, wo sie tatsächlich gebraucht werden.
«Angetrieben durch das enorm gewachsene Bedürfnis nach IT-Leistungen können wir inzwischen IT-Services in einem Umfang erbringen, der vor zwei, drei Jahren undenkbar gewesen wäre», lobt der CIO das Projekt: «Die Zurich wird künftig in der Lage sein, Produkte, deren Lancierung früher drei oder manchmal sogar neun Monate in Anspruch nahm, innerhalb von Tagen oder zumindest Wochen auf den Markt zu bringen».
Wesentlich sei die Wahl und die Anzahl der Partner gewesen. Das erforderliche Know-how sollte nicht bei einem einzigen Partner gebündelt sein. Zudem existieren keine Exklusiv-Verträge, erklärt der CIO weiter. Heute arbeitet die Zurich hauptsächlich mit vier Partnern: CSC für das Application Outsourcing, IBM für den Bereich Managed Desktop, EMC für die Speichertechnik und Orange Business Services für LAN, WAN, Remote Services sowie Telefon und Mobilfunk. Zurzeit migriert Orange mehr als 35000 Mitarbeiter auf Voice over IP (Voip). Doch wie bei grossen Veränderungen üblich, waren nicht alle Zurich-Mitarbeiter bereit, in dem neuen Modell zu arbeiten. Dadurch ging gleichwohl Know-how verloren, dessen Wiederaufbau mehr Zeit in Anspruch nahm, als erwartet. Auch verlief die Kooperation und Kommunikation zwischen Zurich- und etwa den CSC-Mitarbeitern nicht in allen Ländern wirklich reibungslos.

Komplexer als erwartet

Paravicini stellt deshalb rückblickend fest, dass die Transformation insgesamt viel komplexer war und klar mehr Aufmerksamkeit seitens des Managements forderte, als erwartet.
Obschon grosses Gewicht auf Mitarbeiterbetreuung und eine offene und umfassende Kommunikation gelegt wurde, herrscht heute die Meinung vor, dass Management und Mitarbeiter noch besser auf die Veränderungen hätten vorbereitet werden müssen. «Der Aufwand und die Störfaktoren, die mit einer derart umfangreichen Migration Hand in Hand gehen, sind von uns und von CSC unterschätzt worden». Und das sagt Paravicini, obwohl bei Zurich von Anfang an das «Change Management» mit entsprechendem Manpower als zentraler Bestandteil des Transformationsprozesses angesehen wurde und das Führungspersonal sensibilisiert war.

Fazit: Ziele wurden erreicht

Im Rückblick war das Projekt in so kurzer Zeit vielleicht nur deshalb ausführbar, weil die wirtschaftliche Situation der Zurich eine solche Veränderung unabdingbar machte.
Heute erreicht die Group IT der Zurich eine Anwenderzufriedenheit von 88 Prozent. Das Ziel lag bei 85 Prozent und vor der Migration lag sie bei rund 80 Prozent. Deshalb ist Paravicini im Ganzen zufrieden mit diesem Outsourcing.
Informationen zum Unternehmen

Zurich Financial Services Group

Das 1872 als «Versicherungs Verein» in Zürich gegründete Unternehmen beschäftigt heute weltweit rund 55000 Angestellte. Der Hauptsitz befindet sich nach wie vor in Zürich. Als Versicherungs- und Finanzdienstleisterin ist die Zurich in gut 120 Ländern aktiv. Im Jahr 2006 wurde mit einem Nettogewinn von 4,5 Milliarden Dollar ein Rekordergebnis erarbeitet, das 41 Prozent über dem des Vorjahres lag.
Volker Richert



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