Im Auge des digitalen Sturms

Professor Walter Brenner, geschäftsführender Direktor Institut für Wirtschaftsinformatik und Institut für Informatik, Uni St. Gallen: «Der Einsatz von ICT ist als Game Changer erkannt worden»

Computerworld: Seit rund einem Jahrzehnt informiert die Swiss IT Conference über IT-Trends. Wie hat sich die Unternehmens-IT in dieser Zeit aus Ihrer Sicht verändert?
Professor Walter Brenner, geschäftsführender Direktor Institut für Wirtschaftsinformatik und Institut für Informatik, Uni St. Gallen
Quelle:

Universität St. Gallen

Walter Brenner: Der grosse Umbruch ereignete sich im Jahr 2006, als Apple das iPhone auf den Markt gebracht hat. Mobile Computing führte zu einer neuen Qualität der Nutzung von IT. Jede und jeder konnte immer und überall auf das Internet zugreifen. Steigerung der Effizienz bzw. Senkung von Kosten als Hauptziel der Unternehmens-IT wurde durch Innovation ersetzt. Unabhängig von der Unternehmensgrösse und -branche wurde der Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnik als Game Changer erkannt. Eine der Konsequenzen für die Unternehmens-IT ist eine steigende Dezentralisierung der IT in den Unternehmen. Aus der einstigen Schatten-IT ist heute die dezentrale innovative IT geworden. Bewusst vermeide ich den Modebegriff Digitalisierung.
CW: Die Teilnehmenden der aktuellen Swiss-IT-Studie erwarten, dass sich die IT-Abteilung zu einer projekt­bezogenen IT-Organisation wandelt. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?
Brenner: Ich kann diese Erwartungen nur sehr begrenzt nachvollziehen. Am Ende müssen beispielsweise die Anwendungen, egal, ob sie in der Cloud oder «on Premise» laufen, betrieben und weiterentwickelt werden. Zudem gilt es auch, in Zukunft vielfältige Beziehungen zu den Benutzerinnen und Benutzern sowie zu den Lieferanten zu pflegen. Diese beiden Aufgaben, die ich exemplarisch erwähne, können neben zahlreichen anderen Aufgaben der Unternehmens-IT nicht projektbezogen betrachtet werden. Es wird – wie die Teilnehmenden der Studie wohl eher meinen – in Zukunft mehr Projekte geben. Das sehe ich auch so. Aber viele der sogenannten traditionellen Aufgaben werden in der Unternehmens-IT bleiben.
CW: Die digitale Transformation kann nur im Zusammenspiel zwischen IT und Business realisiert werden. Was gilt es beim Zusammenspiel mit den Fachabteilungen zu beachten? Was kommt womöglich zu kurz?
Brenner: Diese Fragen und zahlreiche Versuche, sie zu beantworten, begleiten mich, seit ich vor vielen Jahren begonnen habe, mich mit der IT zu beschäftigen. Dialog, gegenseitiges Verständnis, Toleranz und Lernbereitschaft sind zentrale Faktoren für eine erfolgreiche Zusammenarbeit. Wir haben an der Universität St. Gallen gute Erfahrungen mit neuen Methoden gemacht, um die Zusammenarbeit zwischen IT und Business auf eine neue erfolgreiche Basis zu stellen. Design Thinking zum Beispiel hilft enorm, bestehende «Gräben» zu überwinden, erfolgreich innovative Projekte zu realisieren und einen Beitrag zur digitalen Transformation von Unternehmen zu leisten. Zu kurz kommt sicher immer wieder der Dialog: Man redet lieber, oft negativ, übereinander statt miteinander.
CW: Datenqualität und Datenschutz sind auf der CIO-Agenda weit nach oben gerutscht. Wie erklären Sie sich den Trend?
Brenner: Die Nutzung von Datenbeständen, die oft mit den beiden Schlagworten «Big Data» und «Data Analytics» bezeichnet wird, ist ein zentrales Handlungsfeld in Unternehmen. Bei immer mehr Projekten realisieren die Unternehmen, dass mangelnde Datenqualität zu falschen Schlussfolgerungen führt. Gute Datenqualität ist zentral für die Nutzung der Daten. Datenschutz ist nicht zuletzt durch die Einführung der europäischen Datenschutz-Grundverordnung ein zentrales Thema auch für Unternehmen in der Schweiz. Die Bedeutung wird in Europa weiter steigen. Zudem nimmt das Bewusstsein für Datenschutz in der Bevölkerung ständig zu.
CW: KI ist in, immer mehr CIOs erwarten, dass die Technik in den nächsten fünf Jahren eine Rolle spielen wird. Was kann KI zu einer erfolgreichen IT-Strategie beitragen?
Brenner: Ohne Zweifel wird künstliche Intelligenz sich zu einer Basistechnologie für Unternehmen unabhängig von der Grösse und Branchenzugehörigkeit entwickeln. Künstliche Intelligenz muss, wie viele andere Technologien zuvor, Teil der Informatikstrategie sein. Es geht derzeit auf der einen Seite um den Aufbau von Erfahrungen durch Prototypen und auf der anderen Seite um die Vorbereitung des operativen Betriebs von Anwendungen der künstlichen Intelligenz. Der operative Betrieb von Anwendungen der künst­lichen Intelligenz wird Unternehmen und die IT-Bereiche vor zahlreiche neue Herausforderungen stellen. Diesem Thema widme ich mich derzeit persönlich. Ich halte dies für ein zentrales zukünftiges Thema der Unternehmens-IT.
CW: Mit welchen Entwicklungen setzen sich IT-Entscheider noch zu wenig auseinander?
Brenner: Diese Frage ist schwer zu beantworten. CIOs hatten und haben ein gutes Gespür für Entwicklungen der Informations- und Kommunikationstechnik. Dies haben sie in den letzten Jahrzehnten mehr oder weniger gut bewiesen, auch wenn nicht alle Leserinnen und Leser dieses Interviews zustimmen werden. Wo es noch Verbesserungsbedarf gibt, ist bei Geschäftsleitungen und bei Verwaltungen. Aber dies ist ein anderes Thema.



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