Podium 13.03.2019, 14:00 Uhr

Im Auge des digitalen Sturms

Ein Highlight der Swiss IT Conference 2019 ist die Podiumsrunde mit CIOs und Fachexperten über Chancen und Risiken der Digitalisierung. Computerworld sprach mit den Teilnehmern im Vorfeld über aktuelle Trends wie KI und ob es den CIO in zehn Jahren noch geben wird.
(Quelle: Pixabay/WikiImages)

Renato Gubser, Head of ICT, Lindt & Sprüngli Schweiz: «Die Funktion des CIOs wird an Bedeutung gewinnen»

Computerworld: Die Swiss IT Conference informiert seit einer Dekade über IT-Trends. Wie hat sich die Unternehmens-IT in dieser Zeit aus Ihrer Sicht verändert?
Renato Gubser, Head of ICT, Lindt & Sprüngli Schweiz
Quelle:
Lindt und Sprüngli Schweiz
Renato Gubser: Die grösste Veränderung wurde durch die extensive Verbreitung von Smartphones herbeigeführt, wodurch der Grundstein zur Digitalisierung der Gesellschaft gelegt wurde. Die positiven Erfahrungen der Mitarbeiter, die sie primär im privaten Umfeld durch die schnelle Installation und die intuitive Nutzung teilweise komplexer Applikationen gemacht haben, wurde zum neuen Benchmark für die Unternehmens-ICT. Diese neuen Anforderungen haben den Wandel von der betriebsorientierten zur projektorientierten ICT massiv beschleunigt. Durch den Einzug agiler Projekt­methoden und den stärkeren Einbezug der Fachabteilungen in die Projekt­umsetzung, konnte zudem die Time-to-Market verkürzt werden.
CW: Die digitale Transformation kann nur durch die Wechselwirkung von IT und Business realisiert werden. Was gilt es, beim Zusammenspiel der beiden Gruppen zu beachten?
Gubser: Mit der Digitalisierung wird nicht nur die Automatisierung analoger Prozesse vorangetrieben und neue Technologien eingeführt, sondern es werden auch etablierte Unternehmenskulturen grundlegend verändert. Denn für die Umsetzung der zahlreichen Digitalisierungsprojekte werden neue Herangehensweisen, etwa Ansätze wie Design Thinking, nötig und agile Projektmethoden zur effizienten Projekt­umsetzung gefordert sein. Da dies nicht nur die ICT-Abteilungen, sondern ebenso die Fachbereiche treffen wird, sollte hierauf besonderes Augenmerk gelegt werden. Wenn allen vier Bereichen (Technologie, Methoden, Skills und Kultur) gleichermassen Bedeutung geschenkt wird, sollte nichts zu kurz kommen.
CW: Wird es die Funktion des CIOs in 10 Jahren noch geben?
Gubser: Auf jeden Fall! Die Funktion des CIOs wird in der zunehmend digitalisierten Welt klar an Bedeutung gewinnen. Dessen Fokus wird hauptsächlich darin liegen, die exponentiell zunehmenden Digitalisierungsanforderungen vonseiten der Fachabteilungen zu orchestrieren, eine zukunftsträchtige ICT-Architektur, die solide und gleichzeitig flexibel ist, zu definieren und die zahlreichen Automatisierungsprojekte erfolgreich umzusetzen.
CW: Was kann die künstliche Intelligenz zur erfolgreichen IT-Strategie beitragen?
Gubser: KI hat ein enormes Potenzial, die Wertschöpfung in Unternehmen massiv zu steigern, indem die Produktionsplanung optimiert, Wartungsunterbrüche minimiert und Fertigungsprozesse beschleunigt werden. Weitere Business Cases sind Selfservice-Angebote für Kunden und für Mitarbeitende.
CW: Welche Top-Themen bestimmen Ihre ICT-Agenda 2019?
Gubser: Uns beschäftigt die Migration auf SAP S/4Hana in Verbindung mit ergänzenden Cloud-Services. Hinzu kommt die Digitalisierung in der Produktion mittels Industrie-4.0- und Internet-of-Things-Ansätzen. Des Weiteren haben wir das Thema Modern Workplace and Collaboration auf der Agenda.

Christoph Kleinsorg, Group CIO, Swissport International: «IT ist heute essenzieller Bestandteil in praktisch jedem Projekt»

Computerworld: Die Swiss IT Conference informiert seit einer Dekade über IT-Trends. Wie hat sich die Unternehmens-IT in dieser Zeit aus Ihrer Sicht verändert?
Christoph Kleinsorg, Group CIO, Swissport International
Quelle:
Swissport International
Christoph Kleinsorg: Vor zehn Jahren hätte niemand einen solchen Wandel der Unternehmens-IT vermutet. Das IT-Outsourcing ist in der heutigen Zeit Commodity und wird zum grossen Teil über den Preis entschieden. Themen wie Cloud Computing und «Software as a Service» (SaaS) sind zum Standard geworden. Jedoch sind Themen wie Cybersecurity deutlich unterschätzt worden, die uns inzwischen im stetigen Wandel als Bedrohung begleitet. Die IT ist heute in den meisten Unternehmen ein zentraler Bestandteil, der über den wirtschaftlichen Erfolg oder Misserfolg des Unternehmens entscheiden kann. Die Messung der IT-Kosten als Teil der Gesamtkosten eines Unternehmens ist in der heutigen Zeit ein falsches Messkriterium, solange IT nachhaltig die Produktiviät steigert und zur besseren Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens beiträgt.
CW: Die Teilnehmer der aktuellen Swiss-IT-Studie erwarten, dass sich die IT-Abteilung zu einer projektbezogenen IT-Organisation wandelt. Was halten Sie davon? Wie bewerten Sie diese Entwicklung?
Kleinsorg: Fast kein Projekt respektive das Ergebnis des Projekts kann auf IT verzichten. IT ist heute essenzieller Bestandteil in fast jedem Projekt und daher ist eine organisatorische Ausrichtung als positiv zu bewerten. In der Komplexität der heutigen Geschäftsmodelle ist es umso wichtiger, als IT in der «Projektinitialisierung» bereits mit am Tisch zu sitzen, um die genauen Bedürfnisse zu verstehen und in einen Lösungsansatz zu transferieren.
CW: Wird es die Funktion des CIOs in 10 Jahren noch geben?
Kleinsorg: Ja, aber in veränderter Form. Die Funktion des CIOs ist bereits in den letzten Jahren heterogener aufgestellt worden. Es gibt heute die Funktion des CDOs (Chief Digital Officer) oder CSOs (Chief Security Officer), die nicht unbedingt mehr an den CIO berichten. Diese Form der Spezialisierung, die  man auch in vielen anderen Berufen sieht, wird sich auch in der IT weiterentwickeln. Ich bin davon überzeugt, dass es die Funktion des CIOs, als Gesamtverantwortlichen der IT, in zehn Jahren noch geben wird, aber dies hängt auch von der Branche und der Unternehmensgrösse ab.
CW: Die digitale Transformation kann nur in der Wechselwirkung von IT und Business realisiert werden. Was gilt es, beim Zusammenspiel mit den Fachabteilungen zu beachten? Was kommt womöglich zu kurz?
Kleinsorg: Eine der bekannten Herausforderungen zwischen Business und IT bleibt auch im Zeitalter der Digitalisierung bestehen: die genaue Definition der «Requirements» und transparente Abbildung der Business-Prozesse. Ohne diese kann IT nicht an Modellen oder der Umsetzung zur Digitalisierung erfolgreich arbeiten. Wünschenswert wäre ebenfalls ein verbessertes Verständnis der Komplexität von IT wie beispielsweise notwendige Schnittstellen, Lizenzmodelle und «Support».
CW: Die Datenqualität und der Datenschutz sind auf der diesjährigen CIO-Agenda weit nach oben gerückt. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?
Kleinsorg: Es gibt viele Gründe für die grosse Bedeutung des Datenschutzes. Die durch die Medien gegebene Transparenz weltweit erfolgreicher «Hackerangriffe» auf Unternehmen, Behörden, aber auch Social-Media-Anbieter zeigt den hohen Bedarf an agilem Datenschutz im Unternehmen. Durch grös­sere Verfügbarkeit und Nutzung von Daten (Big Data) für Unternehmensentscheidungen ist die Verlässlichkeit und Aussagekraft der analysierten Daten von hoher Wichtigkeit.
CW: Welche Top-Themen bestimmen Ihre ICT-Agenda 2019?
Kleinsorg: Nachdem der Fokus von meinem Team und mir während den letzten 18 Monaten auf dem Transitionsprojekt der Swissport-IT lag, von einer dezentralen IT hin zur zentralen Infrastruktur Services (Data Center, Netzwerk, Helpdesk) in Zusammenarbeit mit Tata Consultancy Services, kommen nun die nächsten interessanten Herausforderungen auf uns zu. Im Rahmen unserer Digitalisierungsstrategie wollen wir unsere globale Applikationslandschaft reduzieren und vereinfachen. Hinzu kommt die Einführung eines globalen Managed Workplaces für mehr als 20 000 IT-Nutzer weltweit und die gleichzeitige Umstellung auf Windows 10. Im Bereich Big Data arbeiten wir an der Transformation eines dezentralen Data Managements zu einer zentralen Lösung auf Basis von «Kafka Data Bus/Lake» mit der gleichzeitig stattfindenden Vereinheitlichung aller Schnittstellen.

Professor Walter Brenner, geschäftsführender Direktor Institut für Wirtschaftsinformatik und Institut für Informatik, Uni St. Gallen: «Der Einsatz von ICT ist als Game Changer erkannt worden»

Computerworld: Seit rund einem Jahrzehnt informiert die Swiss IT Conference über IT-Trends. Wie hat sich die Unternehmens-IT in dieser Zeit aus Ihrer Sicht verändert?
Professor Walter Brenner, geschäftsführender Direktor Institut für Wirtschaftsinformatik und Institut für Informatik, Uni St. Gallen
Quelle:

Universität St. Gallen

Walter Brenner: Der grosse Umbruch ereignete sich im Jahr 2006, als Apple das iPhone auf den Markt gebracht hat. Mobile Computing führte zu einer neuen Qualität der Nutzung von IT. Jede und jeder konnte immer und überall auf das Internet zugreifen. Steigerung der Effizienz bzw. Senkung von Kosten als Hauptziel der Unternehmens-IT wurde durch Innovation ersetzt. Unabhängig von der Unternehmensgrösse und -branche wurde der Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnik als Game Changer erkannt. Eine der Konsequenzen für die Unternehmens-IT ist eine steigende Dezentralisierung der IT in den Unternehmen. Aus der einstigen Schatten-IT ist heute die dezentrale innovative IT geworden. Bewusst vermeide ich den Modebegriff Digitalisierung.
CW: Die Teilnehmenden der aktuellen Swiss-IT-Studie erwarten, dass sich die IT-Abteilung zu einer projekt­bezogenen IT-Organisation wandelt. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?
Brenner: Ich kann diese Erwartungen nur sehr begrenzt nachvollziehen. Am Ende müssen beispielsweise die Anwendungen, egal, ob sie in der Cloud oder «on Premise» laufen, betrieben und weiterentwickelt werden. Zudem gilt es auch, in Zukunft vielfältige Beziehungen zu den Benutzerinnen und Benutzern sowie zu den Lieferanten zu pflegen. Diese beiden Aufgaben, die ich exemplarisch erwähne, können neben zahlreichen anderen Aufgaben der Unternehmens-IT nicht projektbezogen betrachtet werden. Es wird – wie die Teilnehmenden der Studie wohl eher meinen – in Zukunft mehr Projekte geben. Das sehe ich auch so. Aber viele der sogenannten traditionellen Aufgaben werden in der Unternehmens-IT bleiben.
CW: Die digitale Transformation kann nur im Zusammenspiel zwischen IT und Business realisiert werden. Was gilt es beim Zusammenspiel mit den Fachabteilungen zu beachten? Was kommt womöglich zu kurz?
Brenner: Diese Fragen und zahlreiche Versuche, sie zu beantworten, begleiten mich, seit ich vor vielen Jahren begonnen habe, mich mit der IT zu beschäftigen. Dialog, gegenseitiges Verständnis, Toleranz und Lernbereitschaft sind zentrale Faktoren für eine erfolgreiche Zusammenarbeit. Wir haben an der Universität St. Gallen gute Erfahrungen mit neuen Methoden gemacht, um die Zusammenarbeit zwischen IT und Business auf eine neue erfolgreiche Basis zu stellen. Design Thinking zum Beispiel hilft enorm, bestehende «Gräben» zu überwinden, erfolgreich innovative Projekte zu realisieren und einen Beitrag zur digitalen Transformation von Unternehmen zu leisten. Zu kurz kommt sicher immer wieder der Dialog: Man redet lieber, oft negativ, übereinander statt miteinander.
CW: Datenqualität und Datenschutz sind auf der CIO-Agenda weit nach oben gerutscht. Wie erklären Sie sich den Trend?
Brenner: Die Nutzung von Datenbeständen, die oft mit den beiden Schlagworten «Big Data» und «Data Analytics» bezeichnet wird, ist ein zentrales Handlungsfeld in Unternehmen. Bei immer mehr Projekten realisieren die Unternehmen, dass mangelnde Datenqualität zu falschen Schlussfolgerungen führt. Gute Datenqualität ist zentral für die Nutzung der Daten. Datenschutz ist nicht zuletzt durch die Einführung der europäischen Datenschutz-Grundverordnung ein zentrales Thema auch für Unternehmen in der Schweiz. Die Bedeutung wird in Europa weiter steigen. Zudem nimmt das Bewusstsein für Datenschutz in der Bevölkerung ständig zu.
CW: KI ist in, immer mehr CIOs erwarten, dass die Technik in den nächsten fünf Jahren eine Rolle spielen wird. Was kann KI zu einer erfolgreichen IT-Strategie beitragen?
Brenner: Ohne Zweifel wird künstliche Intelligenz sich zu einer Basistechnologie für Unternehmen unabhängig von der Grösse und Branchenzugehörigkeit entwickeln. Künstliche Intelligenz muss, wie viele andere Technologien zuvor, Teil der Informatikstrategie sein. Es geht derzeit auf der einen Seite um den Aufbau von Erfahrungen durch Prototypen und auf der anderen Seite um die Vorbereitung des operativen Betriebs von Anwendungen der künstlichen Intelligenz. Der operative Betrieb von Anwendungen der künst­lichen Intelligenz wird Unternehmen und die IT-Bereiche vor zahlreiche neue Herausforderungen stellen. Diesem Thema widme ich mich derzeit persönlich. Ich halte dies für ein zentrales zukünftiges Thema der Unternehmens-IT.
CW: Mit welchen Entwicklungen setzen sich IT-Entscheider noch zu wenig auseinander?
Brenner: Diese Frage ist schwer zu beantworten. CIOs hatten und haben ein gutes Gespür für Entwicklungen der Informations- und Kommunikationstechnik. Dies haben sie in den letzten Jahrzehnten mehr oder weniger gut bewiesen, auch wenn nicht alle Leserinnen und Leser dieses Interviews zustimmen werden. Wo es noch Verbesserungsbedarf gibt, ist bei Geschäftsleitungen und bei Verwaltungen. Aber dies ist ein anderes Thema.



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