Wenn das Management die Digitalisierung bremst

Kurzfristig vs. langfristig

«In börsennotierten Unternehmen ist der Vorstand den Gesellschaftern gegenüber verantwortlich, und das bedeutet kurzfristige Ergebnisse», erklärt Tom Fowler, Präsident von Polar Electro Oy, einem finnischen Hersteller von kabellosen Herzfrequenzmessgeräten. «Oftmals lassen sich (…) der mittel- und langfristige Nutzen sowie etwaige Synergieeffekte insbesondere von disruptiven Innovationen nicht exakt quantifizieren», ergänzt Marius Grathwohl von MULTIVAC.
Ein weiterer Grund für die Skepsis innovativen digitalen Projekten gegenüber ist die häufig fehlende unmittelbare Erfolgsrechnung solcher Vorhaben: «Der ROI der disruptiven Technologien ist manchmal schwer zu messen und kann deshalb (…) in Zweifel gezogen werden», so Polar-Präsident Fowler. Die Forschungsdaten von LNS Research zeigen, wie Dan Miklovic verrät, dass das Erarbeiten eines Geschäftsszenarios und das Präzisieren der Investitionsrendite zu den grössten Hindernissen für den Einsatz von IIoT-Technologie zählen. «Im Bereich des digitalen Betriebs ist es häufig einfacher, einen Fall für die Produktivitätsverbesserung aufzubauen, bei dem ein Kernprozess digitalisiert wird», erläutert Capgemini-Experte Didier Bonnet. «Der ROI eines Geschäftsszenarios, das beispielsweise darauf abzielt, das Kundenerlebnis neu zu gestalten, um Kundenbeziehungen zu verbessern, ist dagegen ziemlich schwer zu messen.» Michael Piekarzewitz, Leiter Energiemanagement bei der Weidmüller Gruppe, die sich schon länger mit dem Konzept von Industrial Connectivity beschäftigt, sieht das ähnlich: «Manche Projekte werden verschoben, denn nicht jede Entscheidung lässt sich sofort in Euro und Cent rechnen.» Die «kritischen» Entscheidungen, so Piekarzewitz weiter, seien aber für den langfristigen Erfolg eines Unternehmens von grosser Bedeutung. Carsten Sørensen, Associate Professor Information Systems & Innovation an der London School of Economics, erklärt die Situation damit, dass viele Vorstände die Investitionen in die IT immer noch nach der alten Weltordnung bewerten – «als die Unternehmen die volle Kontrolle über die Einnahmequellen noch hatten und der Wettbewerb noch organisch war». Dieses Problem kann unter Umständen zu einem Teufelskreis werden. «Die digitale Transformation lässt sich nicht mit ROI greifen», ist Alexander Buschek überzeugt, Chief Information und Digital Officer bei dem Maschinenbauunternehmen Braunschweiger Flammenfilter GmbH. Dafür sei das Thema zu komplex. Das findet auch Alexander Wink, Senior Client Partner der Personalberatung Korn Ferry: «Digitalisierungsvorhaben sind eine Investition in die Zukunft, deren unmittelbaren Nutzen man nicht immer sofort sieht.» Bevor man die riesigen Chancen der digitalen Transformation erahnen könne, so Buschek, müsse man die dahinterliegenden Technologien und ihren disruptiven Charakter verstehen.


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