06.03.2009, 08:54 Uhr

Grösster gemeinsamer Nenner

Internationale Rollout-Projekte und normale ERP-Einführungen sind zweierlei. Gefragt sind keine faulen Kompromisse, sondern eine möglichst umfassende Lösung, die allen lokalen Bedürfnissen gerecht wird.
Michael Rothmund ist Geschäftsführer der Process Partner AG, St. Gallen

Welcher Chef eines international oder global agierenden Unternehmens wünscht sich das nicht: Auf Knopfdruck immer zu wissen, wo genau die Gesamtorganisation oder einzelne Standorte und Niederlassungen stehen. Heute sollen es die Umsätze, Auftragseingänge oder betriebswirtschaftliche Kennzahlen der Niederlassungen in Tschechien, Polen oder China sein - morgen wird eine Gewinn- und Verlustrechnung benötigt, die alle Länder konsolidiert.
Tatsache ist: Ob KMU oder Grossunternehmen mit 150, 1500 oder 150000 Mitarbeitern, die grundlegenden Herausforderungen für Organisationen, die in der globalen Wirtschaftswelt agieren sowie Produktionsstätten und Vertrieb in unterschiedlichen Weltregionen unterhalten, unterscheiden sich im Kern nur wenig. Praktisch immer geht es um die Herausforderungen von unterschiedlichen Sprachen und Kulturen, Währungen, Zeitzonen, um Intercompany-Abwicklungen oder Transferpreise. Hinzu kommt, dass die Einzelabschlüsse nach lokalen Rechnungslegungsvorschriften, die konsolidierten Zwischen- und Jahresberichte dagegen meist nach internationalen Standards wie IFRS oder US GAAP zu erstellen sind.
Ohne eine geeignete IT sind diese Herausforderungen nur sehr schwer oder gar nicht zu erfüllen. Bedarfsgerechte IT-Systeme können die Business-Anforderungen global agierender Unternehmen meist dann effizient und wirtschaftlich unterstützen, wenn sie möglichst einheitlich ausgerichtet und eingesetzt sowie zentral für alle Gesellschaften betrieben und betreut werden.
Kein klassisches ERP-Projekt
Solche Erfahrungen decken sich mit denen, die Kirsten Müller gemacht hat. Sie ist IT-Leiterin bei der in Karlsruhe ansässigen Bruker AXS, einem Anbieter für instrumentelle Analysetechnik im Life-Science- und Materialforschungsbereich. Bruker AXS agiert global und setzt sich aus insgesamt 50 mittelständisch strukturierten Unternehmen mit einer Beschäftigtenzahl von jeweils zwischen 80 und 200 Mitarbeitern zusammen. «Für uns als IT ist wichtig, einen mittelstandsgerechten Ansatz für durchgängige IT-Strukturen zu realisieren. Auf dieser Basis ist es unser Ziel, lokale Erfordernisse unserer weltweiten Produktions- und Vertriebsgesellschaften mit den Anforderungen der Zentralen in Einklang zu bringen», erklärt Müller.
Schritt für Schritt erfolgt bei Bruker der Aufbau eines global nutzbaren IT-Systems auf SAP-Basis mit internationalen Rollouts. Genau 15 Rollouts hat sie bereits begleitet oder federführend betreut. Wer glaubt, dass ein internationales Rollout-Projekt mit einer normalen ERP-Einführung gleichzusetzen ist und sich mal eben nebenbei realisieren lässt, irrt sich gewaltig. IT-Expertin Müller erläutert das Spannungsfeld: «Auf der einen Seite ist es bei einem internationalen ERP-Rollout vorteilhaft, wenn an einer zentralen Stelle einheitliche Standards definiert und global umgesetzt werden. Andererseits sind aber auch immer die lokalen Erfordernisse und Gegebenheiten zu berücksichtigen. Schnell ein für die Schweiz eingestelltes ERP-System nehmen und dieses dann unreflektiert etwa in China oder Japan eins zu eins verwenden - das kann nicht funktionieren.»
Brukers IT-Chefin rät stattdessen dazu «statt dem kleinsten den grössten gemeinsamen Nenner» zu finden, denn: «alle Gesellschaften, alle Länder, alle Prozesse und zuletzt alle Anwender sollten sich in dem einen unternehmensweiten System wiederfinden».
Genaue Kenntnis der Abläufe
Dieses eine System stellt in aller Regel ein Template dar, das den genannten «grössten Nenner» beinhaltet. Dabei handelt es sich um ein voreingestelltes ERP-System, das die unterschiedlichsten Belange berücksichtigt.
Bei der Entwicklung eines solchen Systems sind auf jeden Fall auch genaue Kenntnisse der
Geschäftsabläufe notwendig, und es müssen die jeweiligen lokalen Belange berücksichtigt werden. Nach der Entwicklung wird dieses spezifische Stück Anwendungs-Software ausgerollt, gegebenenfalls erfolgt danach noch eine Feinanpassung.
Allerdings sind noch vor dem Ausrollen einige wichtige Punkte abzuklären, beziehungsweise es müssen diverse Vorarbeiten durchgeführt werden, so zum Beispiel die technischen Voraussetzungen: die WAN-Verbindung etwa, die Betriebsauslegung von 7 x 24 Stunden oder das Systemsizing. Bruker bezieht IT-Betriebsdienstleistungen vom Outsourcing-Service der «All for one Midmarket AG» und kann sich so besser auf die Kernkompetenzen, etwa das Prozess-Know-how konzentrieren. Aspekte, die sich um die Datenkonsistenz drehen, sind bei einem internationalen Rollout ebenfalls von grosser Bedeutung. «Für Firmen, die IT-Systeme wie SAP weltweit einsetzen, ist ein ausgefeiltes Stammdaten-Management oft das Zünglein an der Waage. Gibt es hier Inkonsistenzen, stimmen schlichtweg die Finanzzahlen nicht», gibt Müller zu bedenken.
Aber auch noch ein anderer Punkt, bei dem nicht die Technik im Vordergrund steht, wirkt bei einem derartigen ERP-Projekt absolut erfolgskritisch: der menschliche, der kulturelle Aspekt - hier und da gerne als «weicher Faktor» bezeichnet. «Es hat immer positiv gewirkt, das Management sowie die Mitarbeiter vor Ort in die Veränderungen einzubeziehen und sie von den Vorteilen eines neuen ERP-Systems und von den veränderten standardisierten Prozessen zu überzeugen, aber auch ihre Sichtweise - wann immer sinnvoll - zu berücksichtigen», betont IT-Managerin Müller mit Nachdruck. Sie ist sich sicher: «Wird dafür zu wenig Zeit aufgebracht, oder werden die lokalen kulturellen Business-Gepflogenheiten missachtet, wird das den Prozess verzögern.
Tipps: globale Rollouts
Global als Unternehmen agieren bedeutet auch: die IT darauf ausrichten. Über kurz oder lang ist es daher erforderlich, internationale ERP-Rollouts durchzuführen. Dabei ist einiges zu beachten:
- Einbeziehung lokaler Begebenheiten (Prozesse, aber auch kulturelle Besonderheiten)
- Technische Aspekte sind abzuklären, zu planen und umzusetzen (WAN-Verbindung, Support, «7 x 24»-Betrieb, Servicelevels, Systemsizing und anderes mehr); Outsourcing ins Kalkül mit einbeziehen
- Template-Entwicklung (mit GAP/DELTA Analyse) sorgfältig planen
- Standardprozesse definieren und im
System abbilden; danach Vorgehen festlegen und Rollout durchführen
- Projektumsetzung mit Team bestehend aus Mitarbeitern der Zentrale und der Niederlassung vor Ort
- Auf Datenkonsistenz (etwa konsistente Stammdaten) achten.
- Rückhalt durch das zentrale und lokale Top-Management sicherstellen.
Michael Rothmund



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