27.06.2008, 05:59 Uhr

Fünf Stufen zum richtigen ERP-System

Die Entscheidung fällt vielen KMU-Chefs schwer: Entweder sie kümmern sich um Idee und Produktentwicklung oder ums Geld. Enterprise Resource Planning kann beides und zwar gleichzeitig.
Werner Schmid ist Geschäftsführer der GPS, Gesellschaft zur Prüfung von Software mbH, in Ulm.
Die Einführung eines ERP-Systems ist vergleichbar mit der Einführung der Elektrizität - die Wirkung ist nur noch ein bisschen intensiver. Für viele KMUs ist das ERP-System ein Kultursprung: Der Aufstieg in eine andere Unternehmensklasse, das Ende der Zettelwirtschaft, geschönter Excel-Tabellen und der Zuruforganisation. Eines aber bleibt den KMU erhalten: der Wille zur Autonomie, zur Individualität und Flexibilität. Sie haben «ihr» Produkt selbst erfunden, das Unternehmen aus eigener Kraft aufgebaut und die Kunden überzeugt. Das bisschen ERP, denken viele, führen wir auch noch selbst ein. Die meisten haben sich eigene Software-Lösungen gestrickt, voll flexible Anwendungen, aber leider nur Insellösungen mit allen Nachteilen, wenn sich das Unternehmen verändert. Für alle, die den Weg zu einem ERP-System selbst und ohne externe Berater gehen wollen, sind hier ein paar Tipps, wie man den Klassensprung stufenweise schafft.

Stufe 1: Denken


Überlegen Sie, was Sie in Ihrem Unternehmen, Ihren Geschäftsprozessen und IT-Insellösungen verbessern möchten und könnten. Nehmen Sie sich dazu zwei Tage Zeit. Gehen Sie mit Ihren Führungskräften und Know-how-Trägern in Klausur. Am besten ausserhalb des Betriebs und ohne Alltagsgeschäfte. Fangen Sie bei der besseren Erfüllung der Kundenwünsche an. Diskutieren Sie die Ertragssituation und die internen Reibungsverluste, die durch die organisatorischen und informatorischen Lücken in der Auftragsabwicklung entstehen.
Damit sind Sie schon jetzt besser als alle anderen KMUs, die ohne geschlossene Willensbildung aller Funktions- und Wissensträger sofort in die Preisverhandlung mit den Anbietern eintreten und später über das Zufallsergebnis völlig überrascht sind.

Stufe 2: Dokumentieren

Schreiben Sie das auf. Und zwar strukturiert und nach den betrieblichen Aufgaben sortiert. 1. Buchhaltung, 2. Vertrieb, 3. Produktion, 4. Einkauf und Lager, 5. Kostenrechnung - genau in dieser Reihenfolge. Verwenden Sie ganz einfache Sätzen: «Wir machen ..., wir brauchen ... wir möchten». Ohne «wenn» und «aber». Das ist Ihr Anforderungsprofil an ein ERP-System; wenn Sie wollen, nennen Sie das Pflichtenheft.
Mit diesem Anforderungsprofil sind Sie besser als 50 Prozent aller KMUs, die in Gesprächen und Verhandlungen mit ERP-Anbietern nur die emotionalen Wünsche Einzelner vorbringen, aber ohne geschlossenes Pflichtenheft.

Stufe 3: Prüfen und Vergleichen

Laden Sie ein paar ERP-Anbieter zu einer Präsentation ein, mindestens drei, maximal sechs. Die Business Cards und Prospekte vom letzten Besuch eines Vertrieblers liegen sicher noch auf Ihrem Schreibtisch. Geben Sie allen fünf bis sechs Wochen vor der Präsentation Ihr Pflichtenheft und betonen Sie, dass Sie nur dazu etwas hören wollen. Was nicht im Pflichtenheft steht, brauchen Sie auch nicht. Das ist wie bei einem Einkaufszettel. Achten Sie während der Präsentation, bei der immer alle dabei sein sollten, die am Pflichtenheft mitgearbeitet haben, auf die Emotionen Ihrer Leute. Das ist ganz einfach mit eine Bewertungsliste und einer Punktevergabe. Funktional sind die ERP-Systeme genauso vergleichbar wie beispielsweise Mittelklassewagen: in Leistung, Ausstattung und Preis. Genauso wichtig ist aber der emotionale Eindruck.
Wenn Sie die Anbieter steuern, indem Sie ihnen Ihr Pflichtenheft vorgeben, anstatt sich vom Funktionsumfang und Leistungsangebot der vorgeschlagenen Lösung steuern zu lassen, sind Sie besser als drei Viertel aller KMUs, die sich zu sehr auf die Empfehlungen der Anbieter verlassen.

Stufe 4: Planen

Machen Sie einen Plan für die Einführung. Überlassen Sie die Planung keinesfalls dem Anbieter. Sie werden dabei die Lücken in Ihrer Organisation, in der Zuständigkeit oder Delegation der Verantwortung feststellen. Wer soll wofür verantwortlich sein, wer soll was regeln, wer soll was tun? Jetzt schlägt die Stunde der Wahrheit. Sie müssen das selbst regeln - das «System» macht das nicht, auch wenn sich das so mancher Manager erhofft.
Wenn Sie eine klare Organisationsstruktur und einen Plan für die Einführung haben, gehören Sie zur Spitzengruppe der 10 Prozent aller Unternehmen, die ihre Zukunft planen und nicht warten, bis etwas passiert. Bevor Sie den Plan festschreiben, checken Sie die einzelnen Punkte noch einmal ganz genau: Wer ist für die Disposition verantwortlich, wer für die Beschaffung, wer für das Lager? Das sind die Schlüsselfunktionen der «Logistik», das ist der ERP-Begriff für die Warenwirtschaft. Sie sollten sich auch mit dem Vokabular eines gesteuerten Unternehmens vertraut machen. Vertrieb und Buchhaltung sind meistens ohnehin klar geregelt. Neu ist, dass die Buchhaltung in einem ERP-System das erste und das letzte Wort hat. Auch daran sollten Sie sich gewöhnen. Was nicht «in den Büchern steht», existiert auch nicht im Unternehmen.

Stufe 5: Verhandeln

Verhandeln Sie mit den zwei am besten bewerteten Anbietern nur über den Inhalt ihres Angebots. Den genannten Preis werden Sie bezahlen müssen, ob er nun im Angebot steht oder nicht. Ein vermeintlicher Verhandlungserfolg beim Preis ist oft nur eine Illusion: Irgendwann kommt die Rechnung für «individuelle Anpassungen» etc. Fixieren Sie lieber die Leistungspositionen so exakt wir möglich. Jede Einzelleistung muss einen klaren Bezug zu einer Position in Ihrem Pflichtenheft haben. Mit einem Pauschalpreis, und sei er noch so günstig, kaufen Sie nur die Katze im Sack. Unterschreiben Sie nur einen Auftrag bzw. einen Vertrag, in dem genau steht, wer was wann macht. So wie bei den Aufträgen, die Sie täglich von Ihren Kunden bekommen: Artikelnummer (in Ihrem Fall eine Leistungsbezeichnung) Menge, Preis, Termin. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
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Werner Schmid



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