11.04.2012, 06:00 Uhr

Auslagern? Und wenn ja, an wen?

Wer auf der Suche nach der optimalen Sourcing-Strategie ist, muss sich vom «One-size-fits-all»-Gedanken lösen. Aufgrund unterschiedlicher Anforderungen seitens der Unternehmen und unzähliger Lösungsvarianten auf Anbieterseite bleibt nur, eine individuelle Strategie zu erarbeiten.
Welche Sourcing-Strategie ist die richtige? Eine Pauschalantwort gibt es nicht.
Der Trend zum Outsourcing hält weiter an. Diverse Grossverträge haben im europäischen Outsourcing-Markt im vierten Quartal 2011 für regelrechte Rekordergebnisse gesorgt: Laut des aktuellen «TPI Index» des Sourcing-Spezialisten TPI ist der Umsatz in der EMEA-Region im vierten Quartal 2011 im Vergleich zum Vorjahr um 17 Prozent gestiegen. Das Gesamtauftragsvolumen bewegt sich damit auf einer Rekordhöhe von 44 Milliarden Euro, was einer Steigerung von 27 Prozent entspricht. Allein für das vierte Quartal 2011 verbuchte der Index, in dem Verträge im Wert von mindestens 20 Millionen Euro erfasst werden, ein Auftragsvolumen von 13,4 Milliarden Euro (vergleiche Grafik 1 und 2)

Hoher Outsourcing-Bedarf war dabei in allen Kernbranchen gleichermassen zu beobachten. Die Finanzdienstleistungsbranche verzeichnete sowohl bei Vertragsabschlüssen als auch hinsichtlich des Gesamtvertragsvolumens (TCV) mit 13,4 Milliarden Euro einen absoluten Höchststand. Die Produktionsindustrie erreichte mit einem TCV von 13,2 Milliarden Euro fast ihr höchstes Niveau. Nach Service-Bereichen untergliedert, verzeichneten sowohl IT-Outsourcing (ITO) als auch Business Process Outsourcing (BPO) im vergangenen Jahr den Höchstwert an Vertragsvolumen und -aktivitäten. Allein das Gesamtvertragsvolumen für IT-Outsourcing wuchs das dritte Jahr in Folge und erreichte einen Umfang von 31 Milliarden Euro.
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Auslagern? Und wenn ja, an Wen?

Das Outsourcing von Prozessen oder IT-Leistungen zählt allerdings zu den anspruchsvollsten Vorhaben eines Unternehmens. Umso wichtiger ist die Wahl der optimalen Sourcing-Strategie. Welche Dienstleistungen können aus dem Haus gegeben werden, ohne dass Know-how verloren geht? Wer ist der richtige Partner und welche Alternativen bieten sich an? Auf diese Fragen gibt es keine einfache Antwort. «Die optimale Sourcing-Strategie hängt vom jeweiligen Unternehmen und seinen Anforderungen ab», erklärt Axel Timm, Partner Business IT Alignment bei PwC Schweiz. Dies gilt auch für Schweizer Unternehmen. Gewisse Trends wie beispielsweise eine verstärkte Fokussierung auf Single Sourcing mit einem strategischen Provider oder höhere Anforderungen an die Flexibilität, seien jedoch erkennbar. «Es gibt keine One-size-fits-all-Strategie», sagt Peter Hecker, Director Information Services Group Switzerland bei TPI. Zum einen seien die Anforderungen der Unternehmen zu unterschiedlich, um sie über einen Kamm scheren zu können, zum anderen nehmen die Lösungsvarianten seitens der Anbieter stetig zu. Hecker nennt als Beispiele die Vielzahl an Cloud-Services, XaaS-Angeboten (anything as a service) oder Datacenter-Housing-Paketen. Unternehmen müssen sich also über ihre Bedürfnisse auf Business-Seite klar werden und daraus eine individuelle Sourcing-Strategie ableiten, sowohl für die klassische IT als auch für Business-Prozesse. Erschreckend ist, dass eine grosse Anzahl an Unternehmen gar keine Sourcing-Strategie verfolgt. Zu diesem Ergebnis kam das von T-Systems in der Schweiz jährlich durchgeführte Trendmonitoring. Demzufolge kann die Mehrheit der befragten Unternehmen mit über 5000 Mitarbeitenden keine klare Sourcing-Strategie vorweisen. Andere Unternehmen haben zwar bereits eine Strategie, die allerdings häufig weder aktualisiert, noch an die Geschäftsstrategie angepasst und sehr generisch verfasst ist, sodass sie bei konkreten Sourcing-Vorhaben nur bedingt unterstützen kann. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Die richtige Strategie

Die richtige Strategie

Eine Sourcing-Strategie besteht aus den drei Clustern «Mensch», «Organisation», «Infrastruktur» und den spezifischen Bedürfnissen der Geschäftsbereiche. Erst wenn im Rahmen der unternehmerischen Wertschöpfung über die definierten Ziele Klarheit und Einigkeit herrscht, kann mit der Umsetzung von Sourcing-Massnahmen begonnen werden. Ein «Sourcing Life Cycle» kann als wiederkehrender Prozess die Sourcing-Strategie auf die sich ändernden Bedürfnisse auf Business-Seite anpassen. Hecker empfiehlt, die Kernaufgaben im Unternehmen zu definieren und die dazugehörigen Prozesse weiterhin im Haus zu betreiben. Aber auch hier gilt, flexibel zu reagieren: «Sollte sich zeigen, dass auf dem Markt einer dieser Prozesse zu besseren Konditionen angeboten wird (dabei ist der Preis nicht das einzige Kriterium), muss die Frage gestellt werden, ob es sich wirklich um einen Kernprozess handelt, der Inhouse behalten werden soll», so Hecker. Alle Prozesse und Services, aus denen ein Wettbewerbsvorteil am Markt resultiert und nachhaltig sichergestellt werden kann, sollten in aller Regel nicht aus der Hand gegeben werden, meint Hecker. Was die Auslagerung von einzelnen Teilprozessen allerdings nicht ausschliesst. Die Fertigungsindustrie bietet hier viele gute Beispiele, wie mithilfe von Partnern die Fertigungskette optimiert werden kann. Es dürfe dabei aber nicht übersehen werden, dass die Steuerung und Kontrolle der Gesamtkette eine professionelle Organisation bedinge, die sich auf diese Aufgabe fokussiert, so der Spe­zialist. Alle Prozesse, die nicht als Kernprozesse eingestuft wurden, sollten als potenzielle Kandidaten für ein Sourcing in Betracht gezogen werden. Generell ist das Risiko des Know-how-Verlusts bei standardisierbaren Leistungen wie Netzwerk und Telekommunikation, Anwendungsbetrieb und Rechenzentrum gering. In gewissen Bereichen ist allerdings Vorsicht geboten: «Beim Business Process Outsourcing und bei ausgelagerten IT-Service-Desks stellen wir in vielen Fällen eine besonders geringe Zufriedenheit der Kunden fest», erklärt Axel Timm, Partner bei PwC. Zudem bestätige sich die altbekannte Regel «Never outsource a problem». «Im Rahmen der Sourcing-Strategie ist dann die Frage nach internem oder externem Sourcing zu beantworten und über das konkrete Sourcing-Modell zu entscheiden», sagt Hecker. Grundsätzlich gilt: Hochindividuelle und nicht standardisierbare Prozesse verbleiben tendenziell besser im Haus. Besonders, wenn geografische Nähe und/oder direkter Zugriff auf die Ressourcen erforderlich sind. «Die Individualisierung und die dadurch eingeschränkte Möglichkeit zur Standardisierung erschwert das Ausnützen von Synergien in gemeinsam genutzten Produktionszentren», so Peter Hecker von TPI. Eine notwendige Nähe erlaubt keine Verlagerung in Niedriglohnregionen und verhindert damit die direkte Senkung der Kosten. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Sourcing-Arten

Sourcing-Arten

Auch die Auswahl der Sourcing-Art hängt von vielen Faktoren ab. Einige davon sind durch Gesetze und Aufsichtsbehörden wie Datenschutz oder Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) vorgeschrieben, andere durch Firmenpolicies oder Compliance-Bestimmungen festgelegt, wieder andere durch eine Business-Strategie wie «Swissness» vorgegeben. Auch hier gibt es also kein Patentrezept. Alle Sourcing-Arten haben in bestimmten Konstellationen ihre Berechtigung: Cloud Services sind hoch flexibel oder sollten es zumindest sein. Beim Offshoring sind die operationellen Kosten optimiert, Nearshoring bietet in der Regel den Vorteil des EU-Rechtsraums. Onsho­ring wiederum erfüllt Schweizer Recht und Nähe zur Unternehmung, Onsite bietet die grösste Kundennähe und Kontrolle. «Es ist von entscheidender Wichtigkeit, dass jedes Unternehmen auf Basis seiner Anforderungen seinen ganz individuellen Rightshoring-Ansatz definiert», konstatiert Hecker. «Bei der Auswahl des Sourcing-Modells sollte das Unternehmen prüfen, zu welchen Kosten es ausgelagerte Leistungen und Know-how wieder integrieren kann», ergänzt Timm. Hier würden Offshoring-Modelle schlechter als das klassische Outsourcing abschneiden. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Moderne Varianten

Moderne Varianten

Die Sourcing-Alternativen zur klassischen Auslagerung sind schon heute extrem vielfältig und nehmen an Vielfalt und Varianten noch zu. Neuere Sourcing-Modelle wie Cloud-Services oder XaaS-Angebote (auch EaaS: Every­thing as as Service) erhöhen die Komplexität zusätzlich, so Hecker, da diese Services ihre Vorteile durch eine starke Standardisierung erreichen, wodurch auf der anderen Seite die Integration in eine Unternehmenslandschaft und das Anbietermanagement aufwendiger werden. «Bei Cloud Computing ist Vorsicht geboten, denn fehlende Standards machen eine Wiederintegration ausserordentlich schwierig», erklärt Timm von PwC. Hier bietet sich für Unternehmen der Zuzug von externen Experten an, die nicht nur die Erarbeitung einer passenden Sourcing-Strategie unter­stützen, sondern auch noch die Umsetzung begleiten können. Um die Kontinuität des Know-hows beim Outsourcing-Partner sicherzustellen und die Kosten einer potenziellen Wiederintegration zu minimieren, können auch sogenannte Captive-Modelle geprüft werden, schlägt Timm vor. Mit diesen Modellen arbeiten die Schlüsselpersonen beim Outsourcing-Partner nur für einen spe­zifischen Kunden. Schweizer Kunden schätzen laut T-Systems-Trendmonitor bei ihren Outsourcing-Partnern vor allem deren Zuverlässigkeit (44%) und Vertrauenswürdigkeit, gefolgt von Flexibilität (32%) und Kompetenz (30%). Ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis rangierte mit 16 Prozent dagegen weiter hinten auf der Bewertungsskala. Grosse Unternehmen sollten sich zudem überlegen, IT-Dienstleistungen in einem internen Shared Service Center (SSC) zusammenzufassen. Das SSC arbeitet dann wirtschaftlich, wenn es sich regelmässig im Rahmen von Ausschreibungen der Konkurrenz von externen Dienstleistern stellen muss.


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