23.06.2009, 15:54 Uhr

Operation ERP

Die Einführung eines ERP-Systems ist eine Operation am offenen Herzen des Unternehmens. Die Geschäftsprozesse müssen sorgfältig in die Business-Software verpflanzt werden und mit dieser harmonisch zusammenwachsen.
François Berger ist CEO der Nvinity Software Schweiz AG
Hätten Herzoperationen dieselbe Erfolgsquote wie ERP-Implementierungen, würde sich vermutlich niemand mehr unters Messer legen. Die Hälfte bis drei Viertel aller IT-Projekte scheitern. War die Implementierung erfolgreich, erwartet das Unternehmen nach der Operation allerdings eine weit bessere Lebensqualität als zuvor. Worauf ist also beim Eingriff zu achten? Gibt es ein Erfolgsrezept?
Die erste Idee ist meist: Ein Pflichtenheft muss her. Da gibt es Musterhefte für die Software-Beschaffung mit Hunderten von Fragen. Doch in der Praxis haben 70 bis 80 Prozent davon keine strategische Bedeutung für das jeweilige Unternehmen. Die dort angesprochenen Funktionalitäten muss die ERP-Software zwar bieten, aber ohne spezifische Ausprägung für das anfragende Unternehmen.
Entscheidend sind die anderen 20 bis 30 Prozent. Das sind die firmenspezifischen Kernprozesse, welche die Einzigartigkeit des Unternehmens ausmachen. Werden seine Besonderheiten und Stärken sauber dokumentiert, können sie mithilfe der neuen ERP-Software besonders gut zur Geltung gebracht werden. Hier lohnt es sich also, sehr genau hinzusehen, Wünsche exakt zu definieren und dem ERP-Anbieter klare Anforderungen mitzuteilen.

Chance auf Optimierung nutzen

Oft entdeckt das Unternehmen im Zuge dieser Standortbestimmung sogar noch Verbesserungspotenziale bei den Geschäftsprozessen. Auch diese Optimierungsmöglichkeiten gehören in ein Pflichtenheft, durchaus verbunden mit der Ermunterung an den Lösungsanbieter, hier eigene Vorschläge zu präsentieren.
Schon in diesem frühen Stadium der Ausschreibung ist es sinnvoll, die späteren Anwender der Software einzubinden. Das sind meistens Key User aus verschiedenen Abteilungen. Auf der Grundlage ihres detaillierten, praxisnahen Wissens über die Geschäftsabläufe können die Anforderungen an die Software präzise definiert werden. Erfreulicher Nebeneffekt: Das Insiderwissen der Mitarbeiter ist meistens günstiger zu haben als das Know-how externer IT-Berater, die zunächst herausfinden müssen, wie das Unternehmen eigentlich tickt.

Auswahlkriterien für ERP-Systeme

Da die Investitionszyklen bei Business-Software relativ lang sind, ist auf eine moderne Lösung zu achten. Sonst ist das System in seinen besten Jahren bereits veraltet. Webbasierte Lösungen sollten heute bei Neuprojekten der Standard sein. Wichtig ist auch, dass sich die Software schnell, einfach und kostengünstig an firmenspezifische Prozesse anpassen lässt. Da es bei der langen ERP-Lebensdauer viele Updates geben wird, sollten sie problemlos aufgespielt werden können.

Detaillierter Anforderungskatalog

Wenn es dann an die Formulierung der konkreten Anforderungen geht, sollte der Auftraggeber klar zwischen Muss-, Soll- und Kann-Kriterien unterscheiden. Genauso wichtig ist die klare Kommunikation der Negativkriterien, die bewusst nicht erfüllt werden sollen. Der Evaluierungsprozess beschleunigt sich übrigens erheblich, wenn zunächst nur die «Killerkriterien» kommuniziert werden. Der Kreis der potenziellen Anbieter reduziert sich damit automatisch. Mitgeliefert werden sollte auch ein genauer Zeitplan, der die einzelnen Projektabschnitte und deren spezifische Anforderungen aufschlüsselt.

Partner auf Augenhöhe

Ins Pflichtenheft gehören neben den reinen IT-Anforderungen auch Informationen über das Unternehmen selbst, seine Marktstellung, Produkte und Absatzkanäle einschliesslich Kunden- und Lieferantenstruktur. Der Lösungsanbieter muss ausserdem über das IT-Projektteam und die Entscheider Bescheid wissen. Nicht selten entscheidet gerade der menschliche Faktor über Erfolg oder Misserfolg. Am ehesten entsteht Vertrauen, wenn sich zwei Partner auf Augenhöhe begegnen. KMU fühlen sich von einem KMU besser verstanden und betreut als von einem riesigen internationalen Konzern, der die spezifischen und regionalen Umstände gar nicht so gut kennen kann.
Auf der anderen Seite erhöht das Software-Haus seine Chancen auf einen Zuschlag, wenn es sich in seiner Offerte genauso detailliert und sorgfältig vorstellt, wie es das vom Auftraggeber erwartet. Jeder genannten Anforderung muss in der Offerte eine Leistung gegenüberstehen. So kann der potenzielle Kunde die verschiedenen Anbieter direkt vergleichen. Im schriftlichen Angebot darf auch die konkrete Projektorganisation und eine detaillierte Skizze des geplanten Ablaufs nicht fehlen. Die eigene Branchenkompetenz mit Referenzkunden und bereits erfolgreich realisierten Projekten zu belegen, kann ebenfalls nicht schaden.
Sind die objektiven Kriterien erfüllt, wird sich der Auftraggeber letztlich für den Anbieter entscheiden, von dem er sich in allen Belangen ernst genommen und verstanden fühlt. Zeigt der Software-Anbieter schon in seinem Angebot, dass er sich in die Wünsche und Anforderungen des ausschreibenden Unternehmens - und dessen Branche - eingearbeitet und dazu kompetente Vorschläge erarbeitet hat, sind das beste Voraussetzungen für den gemeinsamen Erfolg.
Letzter Check im Workshop
Dennoch kann es nicht schaden, wenn sich die Personen, die nachher auch tatsächlich das Projekt auf beiden Seiten durchführen werden, persönlich kennenlernen. Ein zweitägiger Workshop, bei dem alle Geschäftsprozessumsetzungen genau durchgearbeitet werden, ist dafür ein guter Anlass. Die protokollierten Ergebnisse des Workshops können später auch als wertvolle Vertragsgrundlage dienen.
Das genaue Abklären der firmenspezifischen Anforderungen lohnt sich, weil ein modernes ERP-System tatsächlich genau an alle strategisch wichtigen Prozesse angepasst werden kann, und zwar zu überschaubaren Kosten und - dank moderner Programmierwerkzeuge - auch im überschaubaren Zeitrahmen.
Wenn dann beim Produktivstart das neue Herz des Unternehmens das erste Mal schlägt, sollte es auch so schnell nicht wieder damit aufhören. Ein flexibles ERP-System macht alle Aktivitäten seines Unternehmens mit und unterstützt es optimal bei seiner weiteren Entwicklung.
François Berger



Das könnte Sie auch interessieren