Gastbeitrag 22.05.2020, 07:45 Uhr

Neue Chancen für den Detailhandel

IT-Entscheidern und Marketingspezialisten erschliessen sich durch die Möglichkeiten der Digitalisierung und der Analyse von Kundendaten auf Basis einer intelligenten Prozessplattform ganz neue Geschäftspotenziale.
Der Autor: Michael Anderer ist Mitgründer und Geschäftsführer des Beratungshauses Retailsolutions. www.retailsolutions.ch
(Quelle: Retailsolutions/Marius Becker)
User-generated Content, also vom Nutzer selbst erstellte Medieninhalte, werden heute massenhaft produziert – sei es über soziale Medien oder über das eigene Einkaufsverhalten im Handel. Dies gilt sowohl offline im stationären Handel als auch online in Web-Shops oder im Mix (Omnichannel). Auf Basis dieser Daten ist es möglich, Kunden zu analysieren und zu gruppieren.
Beim «Segment of One»-Ansatz geht die Zentrierung gar so weit, dass Marketingmassnahmen auf die Bedürfnisse des Einzelnen zugeschnitten werden. Kunden, die früher als anonyme Masse erschienen, werden mit einem Mal transparent. So können auf Basis von validen Clustern Kunden zielgruppenspezifisch oder sogar individuell angesprochen werden – im Online-Shop nach dem Einloggen ins Konto, im stationären Geschäft getriggert durch Geofencing. Sobald sich der Kunde in der Nähe des Outlets befindet, erhält er personalisierte Angebote – abgeleitet aus seinem Kaufverhalten, seinen Produktbewertungen etc.

Den Datenkreislauf schliessen

Egal, was der Kunde nun tut, er produziert weiter Daten. Diese entstehen etwa beim Kauf, Kaufabbruch respektive durch das Verhältnis beider Aktivitäten als Conversion Rate.
Durch Produkt- oder Servicebewertungen wird schliesslich im Rahmen des Customer Experience Management (CX-Management) gemessen, warum ein Kunde gekauft oder nicht gekauft hat sowie seine Zufriedenheit mit der Abwicklung, dem Service im Geschäft oder Online-Shop erfragt. Der Regelkreis aus User-generated Content (Analyse – Personalisierung – Bewertung) ist geschlossen.

Tante Emma und Easy Shopping

Daten können konsequent ausgewertet werden – auch hinsichtlich der Bonität und Retouren-Gewohnheiten. Für Offline-, Online- oder Omnichannel-Fachhändler ergibt sich durch die genaue Kundenkenntnis und eine gezielte Ansprache mehr Business. Für reine Onliner-Händler stellt sich die Frage der Kundendatenanalyse nicht, ist doch der Kunde entanonymisiert, sobald er etwas kauft. Bei beiden jedoch ist es genau wie im Tante-Emma-Laden früherer Zeiten: Der Händler wusste über jeden seiner Kunden und dessen Konsumgewohnheiten Bescheid.
Auch wenn man damals noch nicht von Upselling und Cross-Selling sprach, war es doch an der Tagesordnung. Ein weiterer Pluspunkt beim rein stationären Handel war die individuelle Beratung, etwa bei hochpreisigen Produkten. Hier lässt sich auch der Servicegrad und damit die Konversionsrate deutlich steigern. Im Web kann dies mit Bots erfolgen. Darüber hinaus lassen sich abgebrochene oder unterbrochene Verkaufsvorgänge wieder genau an der Stelle aufnehmen, an der sie beendet wurden.
Auch geben Bestandsabfragen in Echtzeit und die Einbindung von über das reguläre Sortiment hinausgehenden Artikeln (Katalogartikel/Longtail-Geschäft) dem Kunden das Gefühl, gut aufgehoben zu sein – egal, ob er online oder offline einkauft. Im Lebensmitteldetailhandel wiederum kann man in der Shopping-App individuelle Einkaufslisten erstellen – weiterführenden Fantasien fürs «Easy Shopping» sind keine Grenzen gesetzt.

Intelligenz in die Prozesse

Neben die digitale Kundenzentrierung tritt schliesslich die intelligente Automatisierung der Bestellsysteme mithilfe von Machine Learning. Hierbei werden mittels adaptiver Algorithmen, grossen zeitreihenbasierten Datenbeständen und effizienten Planungs- sowie Forecasting-Tools die klassischen warenwirtschaftlichen Möglichkeiten deutlich verbessert. Dies mündet in einem valideren Bestandsmanagement, was sich sowohl filialseitig als auch im Zentrallager positiv auf die Kosten auswirkt.
Durch die Verknüpfung aller Kanäle können Online-Reservierungen, Filialabholungen oder -reservierungen ebenfalls in Echtzeit berücksichtigt und neben bedarfsbestimmenden Faktoren und historischen Abverkaufsdaten in die Prognoserechnungen integriert werden. Gleiches gilt für Allokationsplanungen und -simulationen, wobei die Aussagekraft durch Machine-Learning-Elemente deutlich steigt und so die komplette operative Exzellenz der Wertschöpfungskette verbessert wird. Die Stärken von Machine Learning werden allerdings nicht vollautomatisch greifen. Zielführend ist das beaufsichtigte Lernen, bei dem ein zu erwartendes Ergebnis mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vorausgesagt und mit dem Systemergebnis verglichen wird, um den Lernalgorithmus stetig zu verbessern.



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