27.02.2009, 06:26 Uhr

"Heutige Cloud-Lösungen sind proprietär"

Netzausrüster Cisco sieht die Rechenzentren als künftigen Markt. Mit Padmasree Warrior, Chief Technology Officer (CTO) von Cisco, diskutierte Jürgen Hill, Redaktor unserer Schwesterzeitschrift Computerwoche, über die Strategie des Konzerns und sein künftiges Verhältnis zu HP und IBM.
Cisco-CTO Padmasree Warrior will noch nichts Genaueres zu den geplanten Server-Produkten sagen.

Computerworld

: Frau Warrior, nach den Hype-Begriffen Unified Communications und Collaboration postuliert Cisco nun Unified Computing. Was ist das?
Warrior: Ja, wir sprechen seit kurzem über Unified Computing. Der Fokus liegt dabei auf dem Rechenzentrum und der Rolle, die Virtualisierung im RZ spielt. Bislang wurde primär über die Server-Virtualisierung gesprochen, deren Vorteil darin liegt, dass die Investitionskosten gesenkt werden. An der Herausforderung, separate Plattformen wie virtualisierte Server und Speichersysteme zu integrieren, hat sich für die IT-Abteilung wenig geändert. Ganz im Gegenteil, die Komplexität nahm eher zu, was unter dem Strich zu höheren Betriebskosten führte. Hinter unserer Vision des Unified Computing steht die Frage, wie können wir das komplette Rechenzentrum virtualisieren?
Dafür wollen wir eine komplette Architektur liefern. Das heisst also nicht, dass wir unbedingt ein Produkt entwickeln werden, um in einem bestehenden Legacy-Markt mit anderen zu konkurrieren. Die Virtualisierung ist die Basis für weitere Entwicklungen wie Cloud Computing und andere neue Technologien, die die IT-Industrie fundamental verändern werden.
Das war eine sehr politische Antwort. Wann kommt der Cisco-Blade-Server konkret, über den in den USA spekuliert wird?
Wir haben noch keine Produkte angekündigt, und das werde ich jetzt auch nicht tun. Aber seien Sie versichert, dass wir neue Produkte entwickeln, die in Verbindung mit der Unified-Computing-Architektur stehen. Dabei fahren wir keine Me-too-Strategie, um dann in bereits bestehenden Märkten mit anderen zu konkurrieren. Unser Ziel ist die Zukunft - und diese wird aus einer integrierten Architektur bestehen.
Werden wir zur CeBIT erste Produkte sehen?
Lassen Sie es mich so formulieren: Cisco wird im Verlauf des neuen Jahres viele neue Produkte präsentieren. Die Strategie selbst ist nicht absolut neu. Mit dem Thema Virtualisierung befasst sich Cisco schon seit geraumer Zeit. So haben wir etwa mit dem Nexus 5000, der es Ihnen erlaubt, die Virtualisierung zu managen, bereits einen Grundpfeiler des Unified Computing vorgestellt. Viel wichtiger als einzelne Produkte sind die Lösungen, welche IT-Abteilungen suchen, um ihre Kosten zu reduzieren. Und da ist das Rechenzentrum mit Klimatisierung, Storage-Systemen oder Netzwerken noch immer der grösste Posten auf der Rechnung. Wir wollen mit unseren Lösungen die Anwender unterstützen, diese Kosten zu senken.
Sie betonen die Bedeutung der Virtualisierung. Überlebt das klassische Rechenzentrum, oder gehört die Zukunft Cloud-Propagandisten wie Amazon?
Das Rechenzentrum wird bei der Virtualisierung eine zentrale Rolle spielen. Unsere RZ-Strategie ist eine sehr evolutionäre Strategie, da wir dem Anwender bei einer langsamen Migration helfen wollen. Wir sehen das Thema sehr pragmatisch. Wenn Sie die aktuellen Cloud-Computing-Angebote wie etwa von Amazon analysieren, dann stellen Sie schnell fest, dass es sich hier hauptsächlich um CaaS (Computer as a Service) handelt. Unsere Infrastruktur wird dagegen auf einem Servicemodell basieren. Dies bietet drei Vorteile: einen Application Layer, der im Prinzip "Software as a Service" ist (SaaS) und für Anwendungen wie Salesforce.com oder Cisco WebEx geeignet ist. Dann haben wir einen Middle Layer, der eine "Platform as a Service" (PaaS) ist. Dort finden Sie Applikationen wie Googleapps. Der unterste Layer bildet die Infrastruktur beziehungsweise "Infrastructure as a Service" (IaaS). Hier würde ich Player wie Amazon einordnen. Unter diesen Layern liegt dann die eigentliche IT-Infrastruktur. Unsere Vision ist es, eine Infrastruktur für das Cloud Computing anzubieten. Ferner werden wir eigene Anwendungen als Software as a Service offerieren. Unsere bekannteste SaaS-Lösung ist heute sicher WebEx. Oder anders formuliert, Cisco wird sowohl auf den Layern mitspielen, die die Infrastruktur anbinden, als auch auf der Anwendungsebene.

Heutiges Cloud-Computing ist proprietär

Sie kritisieren die heutigen Cloud-Angebote, warum?
Die Schwäche der existierenden Cloud-Computing-Modelle ist, dass es sich um Stand-alone-Lösungen handelt. Sie sind proprietär und geschlossen. Wenn der User also eine Anwendung für Amazon, Google oder das Microsoft-Ökosystem schreibt, dann ist er in dieser Welt gefangen. Er kann seine Applikation nicht einfach auf eine andere Cloud oder gar zurück in sein eigenes Rechenzentrum portieren. Diesen Punkt bemängeln Anwender in Gesprächen mit uns immer wieder als grossen Rückschritt. Wir wollen deshalb Lösungen entwickeln, um diese Abhängigkeiten zu vermeiden. Die heutigen Stand-alone-Clouds möchten wir in Private Clouds oder Enterprise Class Clouds überführen. Langfristig könnte dann ein Inter-Cloud-Ökosystem entstehen, das ähnlich dem Internet funktioniert. Ich glaube, die Evolution des Cloud Computing wird ähnlich verlaufen wie die Entwicklung des Internets.
Also ist eines von Ciscos Zielen die Virtualisierung der Cloud?
Ja, Sie können das so formulieren, denn Virtualisierung zählt für uns zu den Basistechniken, um Clouds zu realisieren. Andere Schwächen der heutigen Cloud-Architekturen sind die fehlende Sicherheit, das Fehlen definierter Service-Level-Agreements (SLAs) sowie die mangelnde Interoperabilität. Ich bin davon überzeugt, dass wir das Netzwerk als Instrument verwenden können, um aus diesen Nachteilen Vorteile zu schmieden, so dass Sie Enterprise Class Clouds oder Private Clouds aufbauen können.

Drohender Ärger mit HP und IBM

Kommen Sie mit dieser Strategie nicht Ihren klassischen Partnern wie IBM ins Gehege?
Nein, es ist nicht unsere Absicht, ein Cloud-Service-Provider zu werden, wir werden also nicht Computer as a Service offerieren. Das ist nicht unser Ziel. Wir wollen Anwenderunternehmen die Infrastruktur liefern, die sie benötigen, um ihre eigene Cloud zu bauen. In bestimmten Segmenten wie dem Rechenzentrum oder dem virtualisierten Rechenzentrum werden wir sicher mit einigen unserer Partner konkurrieren. Aber dafür wird es genügend andere Bereiche geben, in denen wir auch künftig zusammenarbeiten. Es ist ja nicht ungewöhnlich, dass Innovationen an der Kreuzung von zwei verschiedenen Industrien zu neuen Konkurrenzverhältnissen führen. Dessen sind wir uns bewusst. Aber der Trend zu Cloud Computing und virtualisierten Rechenzentren führt zu einer großen Marktveränderung, so dass sich die gesamte Industrie bewegen muss.
Ihr Partner Hewlett-Packard reagiert ja bereits und baut sein eigenes Netzgeschäft aus, statt weiter Cisco-Produkte als OEM zu verkaufen.
Ich kommentiere die HP-Strategie nicht. Aus unserer Sicht liegt es auf der Hand, dass man im Rechenzentrum künftig kein Equipment mehr haben wird, das eine Insel darstellt. Nicht umsonst verlangen die Anwender nach einer integrierten Architektur. Daran arbeiten wir. Wird es dabei zu Spannungen mit unseren Partnern kommen? Wahrscheinlich, aber es ist nicht unsere Absicht, bereits existierende Märkte zu besetzen und eine Me-too-Strategie zu verfolgen. Deshalb ist für uns Unified Computing ein Weg, der zu mehr Cloud Computing und Virtualisierung führt.
Welchen Mehrwert wollen Sie dann ins Rechenzentrum bringen?
Lassen Sie mich kurz zurückblicken. Als wir im Rechenzentrum begannen, besetzten wir netzwerkzentrierte Segmente wie Speicher-, Application- und Server-Networking sowie Sicherheit. Dies ermöglichte den Anwendern eine bessere Integration und war für uns die Phase eins, die unter dem Vorzeichen der Konsolidierung stand. Der nächste Schritt ist die Virtualisierung. Hier haben wir die verschiedenen Plattformen mit "Unified I/O" miteinander verschmolzen. Nun sprechen wir vom Unified Computing. Dabei wollen wir die verschiedenen Inseln mit Hilfe der Netztechnik und Virtualisierung zusammenbringen. Das Netz ist das einzige Stück der Architektur, das für verschiedene Plattformen gleich ist. Hier liegt unser Vorteil.
Dazu brauchen Sie auch Software. Setzen Sie weiter auf Partner wie VMware?
VMware ist ein starker Partner, mit dem wir weiter eng zusammenarbeiten wollen. Wir werden aber nicht nur einen Partner haben. Bei der Migration zu Unified Computing werden wir eng mit VMware und EMC kooperieren.
Lassen wir das Rechenzentrum einmal beiseite. Welche Kommunikationstechniken bestimmen die Zukunft?
Aus Sicht von Cisco gibt es drei wichtige Themen, auf die wir uns fokussieren. Dazu zählt die Virtualisierung in Verbindung mit Cloud Computing, worüber wir bereits sprachen. Diese Entwicklung wird die komplette IT-Industrie und ihre Business-Modelle verändern. Deshalb hat das Thema für uns Priorität.
Der zweite Bereich ist Collaboration. Hier wollen wir die Tools und Lösungen bereitstellen, damit Arbeitsgruppen innerhalb eines Unternehmens zusammenarbeiten können, wir bezeichnen das auch als Intra-Company-Collaboration. Wir arbeiten aber auch - und hier kommt das Thema Virtualisierung wieder ins Spiel - an der Frage, wie Unternehmen kooperieren können. Die Inter-Company-Collaboration wird der nächste Schritt sein, der zu einer deutlichen Produktivitätssteigerung führt. Hierzu hat Cisco WebEx von einer Konferenzlösung zu einer Plattform weiterentwickelt. Und diese werden wir für Drittentwickler öffnen, um so zusätzliche neue Collaboration-Anwendungen zu generieren.
Der dritte Bereich ist das Thema Video oder, wie wir es nennen, Visual Networking. Darunter versteht Cisco die Kombination von Videokommunikation mit Social Networking, so dass Sie Video nicht nur für Conferencing, sondern auch für das Dokumenten-Sharing nutzen können. Das sind in meinen Augen die drei großen technischen Themen, die in nächster Zeit den IT-Markt prägen.



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